August 1944: 24 Weinheimer im Rahmen der „Aktion Gewitter” verhaftet

Sie kamen in den frühen Morgenstunden

von Heinz Keller

Weinheim. Sie kamen in den frühen Morgenstunden, verhafteten neunzehn Männer und brachten sie in ein Konzentrationslager. Fünf weitere Verhaftungen folgten am nächsten Tag. Am 22. und 23. August 1944 lief auch in Weinheim die „Aktion Gewitter” ab, die auch als „Aktion Gitter” oder „Aktion Himmler” bekannt ist. Reichsweit wurden bei dieser Massenverhaftung etwa 5.000 frühere Funktionäre und Mandatsträger von KPD, SPD und Zentrumspartei „in Schutzhaft genommen”.

Die Aktion ging vom „Reichsführer SS” Heinrich Himmler aus. In einem geheimen Fernschreiben an alle Gestapostellen in Deutschland gab Gestapochef Heinrich Müller am 17. August 1944 bekannt, dass der „Reichsführer” eine große Verhaftungswelle befohlen habe. Festzunehmen seien alle früheren Reichstagsabgeordneten, Landtags abgeordneten und Stadtverordneten von KPD, SPD und Zentrum sowie alle ehemaligen Gewerkschafts- und Parteifunktionäre der SPD, „gleichgültig, ob diesen im Augenblick etwas nachzuweisen ist oder nicht”. Über 70-Jährige, Kranke und solche, „die sich mittlerweile um das System verdient gemacht“ hatten, indem sie sich nach 1933 der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen anschlossen, sollten verschont werden. Himmlers Befehl lief unter dem Decknamen „Gewitter”, die Verhaftungsaktion erfasste auch den späteren ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer, den früheren Reichstagspräsidenten und späteren Alterspräsidenten des ersten Deutschen Bundestages, Paul Löbe, und Kurt Schumacher, den späteren SPD-Vorsitzenden und Oppositionsführer im Bundestag.

24 Verhaftungen

In Weinheim nahm die Schutzpolizei auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei sechs ehemalige Kommunisten, sechs Sozialdemokraten und sieben frühere Mitglieder der Zentrumspartei „bis auf weiteres in Schutzhaft“: Leonhard Seib, Peter Arz, Adam Krall, Heinz Beiler, Peter Schwöbel und Karl Friedrich Bär (alle KPD), Adam Sachs, Ludwig Bäuerle, Wilhelm Scheuermann, Jakob Hering, Max Fischer und Emil Moster (alle SPD), Franz Brummer, Dr. Hans Pfeiffer, Jakob Petry, Anton Brandner, Georg Friedrich Janzer, Heinrich Bär und Philipp Samstag (alle Zentrumspartei). Ebenfalls verhaftet, aber kurz darauf wieder freigelassen, wurden Ludwig Bohrmann, Josef Machwirth, Nikolaus Bär, Wilhelm Kumpf und Martin Schmitt. Die übrigen Verhafteten kehrten nach Tagen oder Wochen der Haft zu ihren Familien zurück. Einige der Verhafteten waren schon 1933, unmittelbar nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme”, in Schutzhaft genommen worden.

Frühere Mitglieder und Anhänger der verbotenen Parteien wurden in die Turnhalle der Benderschule (heute Werner-Heisenberg-Gymnasium) „gebeten” und mussten öffentlich ihre Treue zum „Führer” bekunden.

„Gewitter” fand nicht statt

Die „Aktion Gewitter”, die weder im Gemeinderatsprotokoll, noch in der einzig verbliebenen Tageszeitung, dem Parteiorgan „Hakenkreuzbanner”, erwähnt wurde, wohl aber in einer Polizeiakte, wird gern mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht und als spontane Reaktion des Regimes gewertet, war aber in ihren Grundzügen wohl schon länger geplant, denn ähnliche Verhaftungswellen gab es schon 1935 und bei Kriegsbeginn gegen „leitende Männer gegnerischer Strömungen”, wie Hitler ehemals führende Politiker der Weimarer Republik bezeichnete.

Anteil am Neuaufbau

Die allermeisten Opfer der „Aktion Gewitter” stellten sich ein Jahr nach ihrer Verhaftung, nach Kriegsende, dem Neuaufbau eines demokratischen Gemeinwesens in Weinheim zur Verfügung. Franz Brummer, Leonhard Seib und Ludwig Bohrmann wurden im April 1945 von den Amerikanern Bürgermeister Wilhelm Brück als Beigeordnete zur Bewältigung der gewaltigen Nachkriegsprobleme zur Seite gestellt. Dem ersten, 1946 frei gewählten Gemeinderat gehörten Franz Brummer, Jakob Petry (beide CDU), Ludwig Bohrmann, Jakob Hering, Max Fischer, Ludwig Bäuerle und Adam Sachs (alle SPD), Leonhard Seib und Peter Arz (beide KPD) an. 1947 wurde auch Dr. Hans Pfeiffer (CDU) in den Gemeinderat gewählt, schied aber nach seiner Ernennung zum Direktor des Realgymnasiums aus dem Gremium wieder aus. Im gleichen Jahr wurde Ludwig Bohrmann (SPD) zum Bürgermeister ernannt und 1948 zum Stellvertreter von Oberbürgermeister Rolf Engelbrecht gewählt.