Sommer 1939: Weinheim feierte die letzte Kerwe vor Kriegsausbruch

Es blieben gerade noch siebzehn Friedenstage

von Heinz Keller

Weinheim. Sommer 1939 – die Weinheimer feierten ihre neue „gute Stube”, den seit Jahresende 1938 im Stadtbesitz befindlichen Schlosspark, mit zwei Parkfesten und sie feierten ihre Kerwe, als ob sie ahnten, dass es danach für fast ein Jahrzehnt vorbei sein würde mit einem fröhlichen Volksfest wie der Kerwe – und viele, die diese Tage im August 1939 ausgelassen feierten, nie mehr in den Ruf einstimmen würden: „Wem g’hert die Kerwe?”.

Das erste städtische Parkfest fand am 9. Juli statt mit einem Gastspiel des Mannheimer Nationaltheater-Balletts auf dem Rasen vor der Schlossterrasse und bunten Lampions in den Fenstern des Schlosses und rund um den kleinen Teich mit den wasserspeienden Putten am nordwestlichen Parkeingang. Die letzte Kerwe vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde vom 12. bis 14. August erneut als „Heimattag” gefeiert und das gab Gelegenheit, an die „Volksgemeinschaft” zu appellieren: „An diesen beiden Tagen ist mancher, der es nicht mehr für fein hielt, mit den anderen froh und lustig zu sein, früher ausgewitscht. Heute gibt es das nicht mehr: wenn gefeiert wird, dann begeht die ganze Volksgemeinschaft ‚unser’ Fest”, formulierte die herrschende Partei ihren Anspruch auch auf diesen Alltagsbereich.

In den großen Rahmen des „Heimattages 1939” ließen sich dann die KdF-Gäste aus der Saarpfalz ebenso packen wie die Verleihung des Mutterehrenkreuzes an die über 60 Jahre alten Mütter Weinheims im großen Sitzungssaal des neuen Rathauses, dem heutigen Bürgersaal. Auch hier wurde das alte Brauchtum der Kerwe propagandistisch vereinnahmt: „Manche Mutter wird, wenn sie in den Kreis der Familie zurückkehrt und stolz das Ehrenkreuz zeigt, umso lieber die Kerwe mitfeiern und an die eigene Jugend zurückdenken, als die Kerwe noch eine andere Bedeutung hatte”, ahnte die Heimatzeitung schon tags zuvor.

Die letzte Vorkriegs-Kerwe verzichtete auf das traditionelle Abholen der Kerwe im Hördt’schen Steinbruch, weil wieder, wie im Vorjahr, wechselhaftes Wetter vorausgesagt wurde. Dafür wurde im Schlosspark das zweite Parkfest gefeiert: „Scheinwerfer warfen ihr Licht in das Dunkel der Bäume und Sträucher rings um den weiten Rasern und hinter den Weiher, in dem einst die gräfliche Familie und ihre Freunde gebadet hatten und der später aus Sicherheitsgründen zugeschüttet und zum heutigen Puttenbrunnen umgestaltet wurde”, berichteten die „Weinheimer Nachrichten”.

Auf der Schlossterrasse und auf einer Tanzfläche am Blauen Hut wurde getanzt, ebenso auf der Windeck und in vielen Gaststätten, die es heute nicht mehr gibt: „Pfälzer Hof”, „Schwarzer Adler”, „Deutsche Eiche”, „Vier Jahreszeiten”, „Eintracht”, im Biewnhaussaal und natürlich in der Glashalle der „Fuchs’schen Mühle”.

Kerwe-Musik erklang im „Deutschen Haus”, „Zähringer Hof”, der „Stadt Weinheim”, im „Goldenen Löwen”, „Grünen Laub”, im Garten- und Terrassen-Restaurant „Zum Bahnhof”, in der „Goldenen Krone” und im „Grünen Baum”, im „Weinberg” und „Goldenen Schwanen” im „Eichbaum” am Markt und in der „Burg Windeck” im Müll.

Vergangen sind auch Gaststättennamen wie Weinstube „Zur Bergstraße”, Café Rheingold, Café Walter, „Hirschkopf”, „Badischer Hof”, „Gude Drobbe”, „Goldene Rose”, „Weschnitz-tal”, „Schlossberg”, „Amtsstübl”, „Wachen-burg”, „Rebstöckl”, „Nebenbahn”, „Linde”, „Zum Storchen”, „Zum alten Blücher”, „Falken” und „Gartenlaube” Überall wurde, siebzehn Tage vor Kriegsbeginn, fröhlich gefeiert und für die Kinder war auf dem Juxplatz in der Nordstadt ein Vergnügungspark aufgebaut. „Schmitts Marsrakete” war ihrer Zeit weit voraus.