Blick zurück: Erinnerungen an eine erfolgreiche Werbefigur

Gestatten: Dr. Unblutig, Professor für Kukirologie

von Heinz Keller

Werbeanzeige für ein Mittel gegen Hühneraugen

Weinheim. Mit einer Handmischmaschine, zwei Reiseschreibmaschinen und 20.000 Hühneraugen-Pflastern, die die sowjetischen Besatzungstruppen in Berlin-Lichterfelde und in der stark kriegszerstörten Kukirol-Fabrik zurück-gelassen hatten, wagte Kurt Krisp (1893-1971) am 1. September 1948 in der Alten Post in Weinheim einen Neustart für sein Unternehmen, das in den folgenden Jahrzehnten zu einem Teil der Weinheimer Industriegeschichte werden sollte. 71 Jahre später, am vergangenen Wochenende, feierte Kukident das 100-jährige Bestehen (wir berichteten).

Wer war Kurt Paul Carl Krisp, der Gründer der Kukirol-Fabrik, die 1975 in Kukident-Werk umbenannt wurde? Er wurde 1893 im west-preußischen Bromberg, dem heute polnischen Bydgoscz, als Sohn eines Barbiers und Friseurs, geboren. In Dessau-Roßlau erlernte er den Beruf des Drogisten. Als 26-Jähriger gründete er im Mai 1919 in Magdeburg die Kukirol-Fabrik, die zunächst Präparate zur Fußpflege herstellte. Krisp gilt als „Pionier der Fußpflege” und man sagt ihm nach, er habe sich nicht damit abfinden wollen, dass für Millionen Menschen Fußbeschwerden und Hühneraugen zum täglichen Leben gehörten. Allerdings war der Markt für Fußpflege-Produkte 1919 bereits weitgehend verteilt und so musste der Neuling auf dem Hühneraugenmittelmarkt einen neuen Weg für eine erfolgreiche Entwicklung von Kukirol finden. Krisp fand ihn in der Zeitungsanzeige und entfachte in Zusammenarbeit mit dem Werbetexter Johannes Iversen (1885-1941) in einer bislang reklamearmen Öffentlichkeit ein aggressives, ungewohnt politisches Reklamespektakel, das auch mit Ressentiments spielte und allerorten zum Tagesgespräch wurde. Die Anzeigen von Kukirol, aufgebaut wie kleine Fortsetzungsromane, erregten Aufsehen, wurden diskutiert und genau das wollte Krisp.

Schon bald wurden die Fabrikationsräume in Magdeburg zu klein und Krisp verlegte 1922 den Betrieb ins benachbarte Groß Salze, das heutige Bad Salzelmen, einen Stadtteil der Salzland-Kreisstadt Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Auch am neuen Standort, an dem die Gebäude der Kukirol-Fabrik noch heute stehen, die Kukirolstraße aber inzwischen Wernigeröder Straße heißt, expandierte der Betrieb und die Nachfrage wuchs auch im Ausland: Kukirol-Produkte gingen jetzt in 56 Länder.

Dazu trug die Werbefigur des „Dr. Unblutig” wesentlich bei, die Krisp und Iversen 1923 erfunden hatten Bis 1929 machte der gnomenhafte Medizin-Kobold Furore: schwarz-weiß in Tageszeitungen und Illustrierten, farbig auf Schaufensterplakaten. Der Gebrauchsgrafiker Joe Loewenstein (Joe Loe) zeichnete diesen Dr. Unblutig als „Professor für Kukirologie” mit einem Röntgenblick für das Hühnerauge. Am Ende seiner wöchentlichen Sprechstunde – die Anzeigen erschienen stets in den Wochenendausgaben der Tageszeitungen – riet Dr. Unblutig seinen Patienten: „Kukirolen Sie!”. „Kukirolen“ wurde, wie „einwecken”, ein Kultwort. Die dahinter stehende Reklamestrategie fand auch im Ausland Beachtung: in Moskau verarbeitete Regisseur Alexander Tairow, Erfinder des „entfesselten Theaters”, den Dr. Unblutig zu einer avantgardistischen Kukirol-Revue. Der Ruf des hässlichen kleinen „Arztes voll Witz und Humor” erreichte seinen Höhepunkt mit dem Titelbild des „Simplicissimus” am 14. Dezember 1925, als sich „Dr. Blutig“ (Benito Mussolini) und Dr. Unblutig begegneten. Die Bildunterschrift lautete: „Kukolini und Mussirol”.

1929 „ging Dr. Unblutig die Luft aus”. So hat es Dr. Dirk Schindelbeck formuliert, der sich intensiv mit der Arbeitsweise von Iversen beschäftigt hat. Heute gilt „Dr. Unblutig” als „Musterbeispiel für den lauten, mitunter bizarren Reklamestil der 1920-er Jahre”. Er hat Kukirol viel Geld gekostet. Kurt Krisp bezeichnete in einem WN-Gespräch seinen Dr. Unblutig einmal als „den teuersten Arzt der Welt”, für den Millionen von Mark ausgegeben wurden.

Signet für ein Mittel gegen Hühneraugen

Die Folgen von Weltwirtschaftskrise und Exportbeschränkungen zwangen Krisp 1933, sein Unternehmen, nach Dr. Unblutig „die größte Fußpflege-Spezialartikel-Fabrik der Welt”, nach Berlin-Lichtfelde zu verlegen und zu verkleinern. 1937 überraschte Kukirol mit einem völlig neuartigen Präparat zur selbständigen Reinigung und Desinfektion von Zahnprothesen: Kukident. Zahnpflege-Produkte lösten in der neuen Produktpalette die Hühneraugenmittel ab, statt „Hühneraugen klein und groß, wirst durch Kukirol Du los” hieß es jetzt: „Wer es kennt, nimmt Kukident”. Kurt Krisp meinte Jahre später dazu: „Ich hatte Millionen Menschen zum regelmäßigen Füßewaschen erzogen, folglich würden sie auch ihre künstlichen Gebisse pflegen!”.

Im 2. Weltkrieg wurde das Unternehmen mehrfach von Bomben schwer getroffen, in der Nachkriegszeit litt die Fabrikation unter Rohstoffmangel, der sowjetischen Besatzung und Demontage, der Absatz unter der Berlin-Blockade. Als Überlebenschance blieb nur die Umsiedlung in den Westen Deutschlands. Kurt Krisp, inzwischen 55 Jahre alt, nutzte sie mit dem Neustart in Weinheim vor 71 Jahren.

Mitte der 1950er Jahre verschwand übrigens „Dr. Unblutig” für immer aus den Anzeigenseiten.

 

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