1945: Neubeginn unter amerikanischer Aufsicht

Vor 75 Jahren: Der 28. März 1945 war Ende und Anfang zugleich

Neuer Wegweiser im Schloss: Military Government. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

von Heinz Keller

Weinheim. Am Mittwoch in der Karwoche 1945 besetzten die Amerikaner Weinheim, am Gründonnerstag wurde eine Militärregierung mit Dienstsitz im Schloss eingerichtet. Sie befahl den Ratsherrn Richard Freudenberg, mit dem sie seit der Besetzung Weinheims und der Freudenberg-Werke Kontakt hielt, ins Rathaus und übertrug ihm das Amt des kommissarischen Bürgermeisters. Am Karfreitag und an den Osterfeiertagen fanden in den Weinheimer Kirchen Dankgottesdienste statt. Sie waren sehr gut besucht.

Die erste Garnitur der amerikanischen Kampftruppen wurde nach wenigen Tagen von den US-Militärbehörden und der Militärpolizei abgelöst, die rigoros auf die Einhaltung des Ausgehverbots zwischen

18.30 und 7.30 Uhr achtete. Die „neuen Herren“ waren voller Misstrauen gegenüber den Weinheimern, die nun erlebten, was die Amerikaner gemeint hatten, als sie in den letzten Kriegsmonaten neben Spreng- und Brandbomben auch Flugzettel abwarfen mit der Mitteilung: „Die Bergstraße werden wir schonen, dort wollen wir später wohnen“. Schnell wurden zuerst die großen Weinheimer Villen beschlagnahmt, später Hunderte von Einfamilienhäusern am Wachenberg, im Prankel und am Hirschkopf. Am Ende lebten 4.000 amerikanische Soldaten in Weinheim, der Stadt im heutigen Baden-Württemberg mit der stärksten Belegung.

Viert weitere Zahlen machen die Schwere der Aufgabe deutlich, die Richard Freudenberg und seinen Beigeordneten Ludwig Bohrmann, Wilhelm Brück, Franz Brummer und Leonhard Seib übertragen worden war: zwischen 3.000 und 4.000 ehemalige Zwangs- und Fremdarbeiter, hauptsächlich aus der Ukraine, Russland und Italien, lebten nach dem Einmarsch der Amerikaner als „Displaced Persons“, als verschleppte, heimatlose Ausländer, in Weinheim und täglich kamen neue hinzu aus den Nachbargemeinden an der Bergstraße und im Odenwald. Sie warteten auf ihre Repatriierung, mussten untergebracht und verpflegt werden und zwar zu den dreifachen Kaloriensätzen wie sie Deutschen zugestanden wurden.

Schwieriger Neubeginn

„Wir standen vor gewaltigen Aufgaben“, erinnerte sich Richard Freudenberg 1965 an die Tage und Wochen nach Ostern 1945. Die Verpflegung der Bevölkerung musste einigermaßen gesichert werden, die Strom-, Gas- und Wasserleitungen mussten wieder funktionsfähig gemacht werden. Da die Amerikaner eine Reihe städtischer Beamter und Angestellter wegen ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP entlassen hatten, mussten zur Aufrechterhaltung der Stadtverwaltung frühere Mitarbeiter reaktiviert und neue eingestellt werden. Zu kommissarischen Leitern der wichtigsten Ämter wurden verpflichtet: Bezirksbaumeister Valentin Weber für das Stadtbauamt, Verwalter a.D. Friedrich Bühler für die Stadtwerke, Regierungsrat a.D. Ludwig Seyler für das Wohlfahrtsamt, Rentamtmann Sergius von Chrustschoff für das Ernährungsamt, Walter Freiherr von Gienandt zur Ausländerbetreuung. In den Sälen der Nordstadt-Wirtschaften „Eintracht“, „Goldenes Schaf“ und „Schwarzer Adler“ wurden, wie in der Turnhalle der Diesterwegschule, Durchgangslager für Flüchtlinge und heimkehrende Soldaten eingerichtet. Und der Zustrom von Heimatvertriebenen stand ja noch bevor!

Militärische Ausweisdokumente

Wer das Stadtgebiet Weinheim verlassen wollte, aus welchem Anlass auch immer, brauchte die Genehmigung der Militärregierung. Aber auch, wer in Weinheim leben und arbeiten wollte, wie der Sparkassen-Lehrling Martin Heckmann, benötigte dazu den Stempel der Besatzungsmacht und die amtliche Bestätigung der regulären Entlassung.
Dokumente: Stadtarchiv Weinheim.

Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und des Deutschen Reichs am 8. Mai 1945 wandte sich Bürgermeister Richard Freudenberg mit einer „Erklärung zum Kriegsende“ an die Weinheimer Mitbürger: „Wir müssen uns darüber klar sein, dass unsere Armut größer ist als sie uns in unserer unzerstörten Stadt erscheint. Wir leben aus Vorräten an Nahrungsmitteln, wir arbeiten aus Vorräten an Rohstoffen und wir leben aus unserem Vermögen an Geld. Mit all diesen Dingen gilt es zu haushalten, bis es gelingt, wieder eine bescheidene, in sich ausgeglichene Wirtschaft zu treiben. Hilfe von außen ist nicht zu erwarten. Ich kann der Bevölkerung große Opfer nicht ersparen. Wir müssen uns auf den Boden der harten Tatsachen stellen und das bedeutet, ganz klein, mit innerem Anstand und Wahrhaftigkeit von neuem anzufangen“.

Freudenberg verhaftet, Brück Nachfolger

Am 10. Mai wurde Richard Freudenberg von der Militärregierung auch die kommissarische Leitung des Landkreises Mannheim übertragen, der bis 1950 seinen Dienstsitz in Weinheim hat: zunächst im Schloss, später in der Gewerbeschule (heute Uhlandschule). Am 27. Mai wurde Freudenberg offensichtlich denunziert und wegen angeblicher Beleidigung der Militärregierung, wohl auch wegen seiner früheren Tätigkeit im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, seiner Ämter enthoben und vom CIC gegen den Willen der örtlichen Militärverwaltung verhaftet. Bis Februar 1947 hielten ihn die Amerikaner in Gefängnissen und Lagern fest.

Richard Freudenberg (links) und Wilhelm Brück

Zwei, die sich in schweren Tagen um Weinheim verdient gemacht haben: Richard Freudenberg (links) und Wilhelm Brück.
Bild: WN-Archiv.

Immerhin folgen die Besatzungsbehörden der Freudenberg-Empfehlung, den Dachdeckermeister Wilhelm Brück zum neuen Bürgermeister zu bestimmen. Am 28. Mai 1945 wurde Brück gegen seinen Willen zum kommissarischen Bürgermeister bestimmt, der in Weinheim lebende Regierungsrat Karl Geppert zum kommissarischen Landrat des Landkreises Mannheim.