Blick zurück: Nahe der Stadtmauer war das Areal eng bebaut

Auf dem Amtshausplatz ist Stadtgeschichte zu spüren

Amtsgasse 2, 1955
Amtsgasse 2, 1955. Bild: Archiv Weinheim.

von Heinz Keller

Weinheim. Es braucht schon etwas Fantasie, um sich vorzustellen, wie es einst – und noch bis in die unmittelbare Nachkriegszeit – auf dem Areal aussah, das wir heute Amtshausplatz nennen. Und doch genügt es eigentlich schon, sich oben an die Institutstraße zu stellen und das Schlossergässchen hinab zu blicken. Sechs Häuser stehen noch an der schmalen Straße, an der einst die Schlosser lebten und arbeiteten. Die Enge, die die Gebäude ausstrahlen, galt noch vor 70 Jahren für das gesamte Schlossergässel bis hinunter zur Hauptstraße. Auf seiner Nordseite standen drei nicht sehr einladende Wohnhäuser und einige Stallungen, die als Lagerräume genutzt wurden. Auf der Südseite wurde das Gässchen von Mauern begrenzt, die das Areal des Deutschordenshauses umschlossen, das seit der Aufhebung des Deutschen Ritterordens 1809 als Amtshaus des Großherzoglichen Amtsbezirks Weinheim diente. Ein eingeschossiger Anbau entlang der Hauptstraße markierte, zusammen mit dem Geschäftshaus der Kolonialwarenhandlung von Louis Pflaum, den schmalen Zugang zum Schlossergässchen, in dem es wenig Licht und wenig (gute) Luft gab.

Das änderte sich Mitte der 1950 er Jahre, als der Bagger Licht und Luft in die enge Bebauung brachte. Zunächst verschwand der Anbau am Amtshaus und Anfang der 1960 er Jahre wurden das Haus Pflaum und die Gebäude Schlossergasse 1 bis 5 abgerissen. Eine Öffnung zur Amtsgasse entstand, als auch das historische Hofportal des Deutschordenshauses zusammen mit den Nebengebäuden und dem 1809, nach dem Abbruch der Deutschordenskapelle, angelegten Garten verschwand. Von den Gebäuden der seit 1308 an dieser Stelle bestehenden einstigen Kommende des Deutschen Ordens war nun nur noch das Deutschordenshaus erhalten, in dem sich seit 1939 das Museum der Stadt Weinheim befindet.

Amtsgasse 2

Amtsgasse 2, 1955. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Heute wird die mit den Abbruchaktionen entstandene, 2.115 Quadratmeter große Freifläche als innenstadtnaher Parkplatz genutzt. 78 Stellplätze wurden entlang der nackten Saalbaumauer, vor dem neuen Zugang zum Museum und zwischen Amtsgasse und Schlossergässchen angelegt und seitdem wird darüber diskutiert, ob man das Areal, das für viele Weinheimer „ein hässliches Loch“ ist, bebauen oder freihalten sollte. Die Anwohner, deren Lebens- und Wohnqualität sich mit den Gebäudeabbrüchen wesentlich verbessert hat, halten allen Veränderungsplänen die Meinung entgegen: „Auch ein hässliches Loch kann ein schönes Loch sein“.

Bis hin zur aktuellen Diskussion gab es in den letzten Jahren viele Überlegungen, den Amtshausplatz städtebaulich neu zu gestalten. 1968 regte Stadtplaner Rasso Mutzbauer an, im Blick auf das gerade entstehende Rhein-Neckar-Zentrum ein Gemeinschafts-Warenhaus mit Tiefgarage und Wohnungen zu bauen. Es kam nicht dazu und auch aus den Plänen für eine vollständige Überbauung der Flächen durch die Wollhändler-Gruppe, die sich gerade um den Bau des Multzentrums bemühte, wurde 1977 nichts. 1978 dachte man an ein Parkdeck und dann kam 1980 mit der Ausweisung des Sanierungsgebiets „Südliche Altstadt“ neuer Schwung und neues Geld in die Planungen. Aber keines der im Sanierungsbeirat, vom Stadtplanungsamt oder von Architekturbüros angestoßenen Projekte kam bislang zum Zug, auch weil inzwischen die Grundmauern der einstigen Deutschordenskapelle vor dem neuen Museumseingang entdeckt worden waren und bei Projekten wie einer Tiefgarage weitere Funde zu erwarten waren.

Abrissarbeiten in der Amtsgasse

Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Das jüngste Bauvorhaben, das in der vergangenen Woche von der Tagesordnung des Gemeinderats genommen wurde, hat auch mit der Vergangenheit des Areals zu tun, das einst nahe an der Stadtbefestigung lag. Mit Wall und Graben, der Zwingermauer und der hohen Stadtmauer war die um 1250 gegründete Neustadt Weinheim umgeben und sieben Türme sicherten die Ein- und Ausgänge. Über dem Steinweg, der heutigen Hauptstraße, stand in Höhe der Engel-Apotheke das Niedertor. Der rechteckige Turm mit Fachwerkgeschoss, Walmdach und Dachreiter wurde vermutlich in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts abgerissen. Die Stadtmauer, die ihn mit dem Judenturm verband, ist im Hof der früheren Metzgerei Pflästerer (heute Alte Münze) noch zu sehen. Ihre Weiterführung zum Roten Turm hinauf verlief vermutlich auf der Rückseite der heutigen Bebauung an der Grabengasse und damit am Rande des jetzigen Amtshausplatzes. Das der Engel-Apotheke gegenüberliegende Haus Hauptstraße 118 (heute Braun & Schwarz/Bellissima) steht wohl auf Resten der Zwingermauer der alten Stadtbefestigung. Bis 1943 wurde hier eine Gastwirtschaft betrieben, zunächst unter dem Namen „Zum Weißen Lamm“, später hieß sie „Zum Weinberg“. Sie war immer im Besitz der Familie Demuth, die sich allerdings lieber ihrer Metzgerei widmete als der Gaststätte, die von einer Reihe populärer Wirte betrieben wurde und im angeschlossenen Saalbau große Feste und Veranstaltungen ausrichtete. Der „Weinberg“-Saal, vermutlich 1872/74 erbaut und mit seiner teilweise bewachsenen Brandmauer nördliche Begrenzung des Amtshausplatzes, gehört mit seiner reichen Wand- und Deckenstuckausstattung zu den bemerkenswertesten Saalbauten des 19. Jahrhunderts im Rhein-Neckar-Kreis und gilt deshalb als Kulturdenkmal.

Autoparkplatz Schlossergässchen (1963)

Schlössergässchen 1963. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

1943 wurde der „Weinberg“ geschlossen. Auf Anordnung der Wehrersatzinspektion Mannheim wurde 1944 in den Gasträumen ein Ausweichlager der Mannheimer Firma Hansa eingerichtet. Die Metzgerei Demuth wurde noch in den 1950 er Jahren geführt. Im Saal des „Weinberg“ arbeiteten in den ersten Nachkriegsjahren die Nährmittelfabrik Hans Schumacher (Hasch“) mit Puddingpulver, Soßenpulver, Backpulver, Vanillinzucker, Gewürzen, Kaffee und Tee. Nach einigen Jahren Leerstand begann Friedrich Noe mit dem Restaurieren alter Möbel und nach seinem Auszug wurde die Ruhe im Saal nur noch für Kerwe-Veranstaltungen des Vereins „Alt Weinheim“ und der „Weinheimer Blüten“ genutzt.

Schlossergässchen, um 1956 (Stadtarchiv Weinheim Rep.32 Nr. 439)

Schlössergässchen, um 1956. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Die Gaststättenräume wurden nach dem 2. Weltkrieg zunächst von dem Raumausstatter Klaus Twele, 1954 erster Sitzungspräsident der „Weinheimer Blüten“, danach von Schuhmachermeister Steinberg genutzt, ehe die Galerie Zet, die Boutique La Poupée und das Zehnt-Haus in den historischen Mauern eröffneten. Das Haus mit seiner charakteristischen Reihung von Fenstern mit Sandsteingewänden steht unter Denkmalschutz.