Stadtgeschichte auf dem Dürreplatz

Ein Platz verändert Gesicht und Aufgaben

Junger Mann auf einem Hochrad auf dem Dürreplatz.
Stadtgeschichte wurde auf dem Dürreplatz geschrieben und sie spiegelte sich stets in den großen Festzügen, die an der Eduard-Dürre-Schule vorbeizogen.

von Heinz Keller

Alles, was den Dürreplatz und seine direkte Nachbarschaft über Jahrzehnte hinweg zu einer innerstädtischen Drehscheibe gemacht hat, ist in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach verschwunden. Im Herzen der Stadt, zwischen Altstadt und Neustadt, war das Gelände erst Kirchplatz, dann Schulplatz, Übungsplatz der Feuerwehr, bis zur Schaffung des Obstgroßmarktes während der Erntezeit regelmäßiger Obstmarkplatz, Appellplatz der Nationalsozialisten und ihrer Jugend, Startplatz der Rettungsaktionen des Roten Kreuzes, innerstädtischer Parkplatz, zuletzt Protestplatz der nichtorganisierten Jugend, heute ist er aussichtsreicher Treffpunkt für eine Kaffeepause.

Zuerst Kirchplatz

Vor über 300 Jahren, als über den Steinweg, die heutige Hauptstraße, noch der gesamte Nord-Süd-Verkehr zwischen Darmstadt und Heidelberg rumpelte, war das Gelände, auf dem heute die Weinheim-Galerie steht, ein Ort der Stille. Nach der Reformation hatten sich in Weinheim die evangelisch-reformierten Gemeinden der Altstadt und der Neustadt gebildet. In der Regierungszeit des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm (1685-1690), der alle drei Konfessionen anerkannte, also auch die Lutheraner, gründete sich 1685 eine evangelisch-lutherische Gemeinde. In ihr waren die Lutheraner aus Weinheim und den umliegenden Ortschaften vereint. Die Gemeinde erbaute 1686 auf dem heutigen eine bescheidene Kirche mit Dachreiter und kleiner Glocke, die einschiffige Johanniskirche, dazu ein Pfarrhaus und eine Schule. Daneben legten die Lutheraner einen Friedhof an.

Nach der Vereinigung der Reformierten und der Lutheraner in Baden wurde die zuletzt 800 Mitglieder zählende lutherische Gemeinde Weinheim 1821 aufgehoben und der Friedhof geschlossen.

Beim Bau der östlichen Gebäude für das einstige Kaufhaus Birkenmeier (heute östlicher Galerie-Eingang) stieß man 1967 auf Überreste des lutherischen Friedhofs und beim Bau der Tiefgarage unter dem Dürreplatz wurden 1982 erstaunlich gut erhaltene gemauerte Grabkammern entdeckt.

Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hieß der Weg, der von der Hauptstraße, am einstigen Schuhhaus Schütz entlang, zum Dürreplatz führte, Kirchweg: in Erinnerung an die lutherische Gemeinde und ihre Johanniskirche.

Dann Schulplatz

Am 5. Dezember 1847 leitete die Einweihung des neuen evangelischen Schulhauses über dem einstigen lutherischen Friedhof die Entwicklung vom Kirchplatz zum Schulzentrum ein. Zu Ostern 1848 konnten die evangelischen Kinder Weinheims, auch die Mädchen, erstmals unter einem Dach unterrichtet werden. Das neue Schulhaus kostete 10.657 Gulden.

Das zweigeschossige Gebäude, geplant und erbaut von dem aus Weinheim stammenden großherzoglich badischen Baudirektor Heinrich Hübsch (1795-1863), war das erste von den beiden evangelischen Kirchengemeinden und der Stadt gemeinsam errichtete Schulhaus. Es wurde 1872, nach der Einführung der Simultanschule in Baden, auf drei Geschosse aufgestockt und beherbergte als nun überkonfessionelle Einrichtung fortan alle Weinheimer Volksschüler. Das bisherige katholische Schulhaus an der Obergasse wurde geschlossen.

Geteilte Schulhöfe

Westlich und östlich des neuen Schulhauses, das Schulhaus I genannt wurde, lagen getrennte Schulhöfe für Buben und Mädchen, der Schulgarten schloss das Schulgelände am Abfall zur Grundelbachstraße. Im Schulgarten gab es einst einen Obstmarkt, auf dem die Obstanbauer in großen Körben ihre Erzeugnisse anboten. Der Obstmarkt wurde 1928 von der Einrichtung eines regionalen Obstgroßmarktes in einer Badenia-Halle abgelöst.

Sommertagszug auf dem Dürreplatz

Am Rande eines der ersten Sommertagszüge tut sich ein unbekanntes Bild auf: ganz links und in der Mitte die beiden Lehrerwohnhäuser, rechts der Bauernhof Wolf, in dem bis 1693 der Gasthof „Zum Reichsapfel“ betrieben wurde. Nach dem Abbruch des Bauernhofs war im Neubau ab 1941 das Schuhhaus Schütz zu Hause. Zwischen Lehrerwohnhaus und dem Haus Wolf ist der schmale lutherische Kirchweg zu ahnen.

Zwei Lehrerwohnhäuser

Der Schuldiener wohnte am südlichen Schulhofrand über dem Geräteschuppen, in dem die städtische Feuerlöschanstalt, Vorgängerin der 1862 gegründeten Freiwilligen Feuerwehr, Pechpfannen, Leitern und Feuerhaken lagerte.

Um 1860 wurden am Steinweg, der heutigen Hauptstraße, zwei Lehrerwohnhäuser errichtet, die den Zugang zum Schulgelände rahmten. Die heutige Dürrestraße als Verbindung zwischen Grundelbachstraße und Hauptstraße kam erst 1934. Der Schulbrunnen und die 1863 zum 50. Jahrestag der Völkerschlacht zu Leipzig gepflanzte Linde schmückten den Platz vor dem Schulhaus I.

Ziersträucher bei der Gartenbauausstellung 1897.

Eine frühe Vorläuferin der „Weinheimer Woche“ war die Gartenbauausstellung 1897 auf dem Schulhof vor dem Schulhaus I. Die fein säuberlich angeordneten Ziersträucher wurden in Holzkübeln zur Gartenbauausstellung auf den Schulplatz gebracht und rahmten einen kleinen Park um den städtischen Springbrunnen und die 1863 zur Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig gepflanzte Friedenslinde.

125 Jahre Hausgeschichte

1927 erhielt Schulhaus I den Namen Dürreschule: nach Dr. theol. Christian Eduard Leopold Dürre (1796-1879), Vorturner bei Friedrich Ludwig Jahn auf der Berliner Hasenheide, im Lützow’schen Freikorps Teilnehmer an den Befreiungskriegen gegen Napoleon, Vorsänger auf dem Wartburgfest, dem ersten deutschen Nationalfest, ab 1851 Lehrer am Bender’schen Institut in Weinheim und auf dem Alten Friedhof bestattet. Die Hausgeschichte der Dürreschule endete 1972 mit dem Abbruch des nicht mehr sanierungswerten Gebäudes. Er beschloss zugleich ein bedeutendes Kapitel Weinheimer Schulgeschichte. Denn Zehntausende von Volksschülern wurden in der Dürreschule unterrichtet und Tausende von Sextanern des Realgymnasiums begannen hier den Weg zum Abitur.

Gewerbeschule …

Die „Benderszippel“ waren Untermieter in der Dürreschule, wie anfangs auch die ersten Gewerbeschüler. Diese waren schon kurz nach der Einweihung des neuen Schulhauses hier einzogen, kamen aber nur abends und sonntags nach dem Kirchgang zum Unterricht. Das duale System der parallelen Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule sorgte bald für Streit zwischen der Stadt, den Zünften und den Eltern über die Anteile an den Finanzierungskosten. 1851 beschloss der Gemeinderat die Schließung der Gewerbeschule, „weil die Opfer von der Stadtkasse nicht zu erbringen waren“. Erst 1859 wurde die Gewerbeschule wieder eröffnet, kehrte aber nicht mehr ins Schulhaus I zurück.

Der Unterricht wurde nun in Lokalen, Fabriken und Werkstätten abgehalten, ehe die Gewerbeschule im neuen Schulhaus II (später Diesterwegschule, heute Stadtbibliothek) unterkam. 1911 erhielt sie ihr eigenes Schulhaus (heute Uhlandschule), 1959 ihre endgültige Bleibe an der Wormser Straße im Berufsschulzentrum des Rhein-Neckar-Kreises.

… und Handelsschule

Mit der Dürreschule ist auch die Geschichte der Handelslehranstalten ein Stück weit verbunden. Denn als die Gewerbeschule im Schulhaus I startete, wurde (noch) nicht zwischen gewerblichem und kaufmännischem Nachwuchs unterschieden. Mit der Gewerbeschule zog die 1900 gebildete Handelsabteilung ins neue Schulgebäude an der Bahnhofstraße. 1922 wurden die beiden Schulgattungen getrennt, die Handelsschule wechselte in die Friedrichschule und wurde 1934 in die Dürreschule verlegt. 1936 wurde ihr eine Höhere Handelsschule angegliedert. Der Neustart nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgte 1946 in der Friedrichschule, weil die Amerikaner die Dürreschule beschlagnahmt hatten. 1953 wurde das neue Handelsschulgebäude des Landkreises Mannheim an der Weststraße (später Karrillonschule, heute Karrillonhaus) eingeweiht, 1980 bezogen die Handelslehranstalten ihren Neubau im Berufsschulzentrum des Rhein-Neckar-Kreises.

Neubeginn 1945

Das Ende der Dürreschule schien im Sommer 1945 ganz nahe. Das knapp 100 Jahre alte Haus befand sich in einem trostlosen Zustand. Die nach dem Einmarsch der Amerikaner und ihrer Befreiung hier untergebrachten polnischen Zwangsarbeiter hatten vor ihrem Auszug die Fensterscheiben zertrümmert und die Einrichtung zerschlagen, teilweise verbrannt. Kein anderes Weinheimer Schulhaus hat im Frühsommer 1945 so gelitten wie die Dürreschule.

Unter größten Schwierigkeiten wurde die Wiederaufnahme des Schulunterrichts vortbereitet und sie fand – weil die übrigen Schulhäuser besetzt oder belegt waren – am 11. September 1945 in dreizehn notdürftig wiederhergestellten Schulräumen der Dürreschule statt. Bis zu 3.000 Schüler wurden täglich zwischen 8 und 18 Uhr unterrichtet, die jüngeren Jahrgänge vormittags, die Älteren in den Nachmittags-, sogar in den Abendstunden.

Auch die Volkshochschule Weinheim startete 1946 in der Dürreschule, wie 1885 die als Privatschule gegründete Höhere Töchterschule.

Ein Verkehrsopfer

Die Dürreschule überlebte die Notzeiten. Der erste Hausabbruch im Ensemble traf 1956 das südliche der beiden Lehrerwohnhäuser. Es stand dem wachsenden Verkehrsaufkommen im Weg. Während des „Dritten Reichs“ hatte das Gebäude einen Sommer lang 1939 mit 55 Feldbetten in einer provisorischen Jugendherberge als „Haus der wandernden Jugend“ gedient, danach mit Dienststellen der NSDAP und der Hitlerjugend sowie den Diensträumen von Hauptstellenleiter Kurt Niceus, Weinheims oberstem Nationalsozialisten, als „Haus der Partei“. Nach Kriegsende war es Wohngebäude.

Als 1956 an der Grundelbachstraße in der Nachbarschaft des Städtischen Krankenhauses (heute Schlossbergbebauung) ein neues Feuerwehr-Gerätehaus eingeweiht wurde, hatte auch das alte Spritzenhaus auf dem Dürreplatz endgültig ausgedient. 1961 wurde es abgerissen und mit ihm verschwand auch die frühere Hausmeisterwohnung der Dürreschule. Die 1927 an der Außenwand angebrachte Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Feuerwehrmänner befindet sich im Gerätehaus auf der Weidsiedlung.

Frauenarbeitsschule, DRK-Heim

Zehn Jahre nach der Dürreschule, auf deren Untergrund 1972 ein innerstädtischer Parkplatz entstand, verschwand auch das östliche Nachbargebäude. Es war 1902 als Frauenarbeitsschule erbaut und eröffnet worden. Hunderte von Schülerinnen besuchten die vom Frauenverein 1844 Weinheim betriebene Bildungseinrichtung, die von einer Kochschule und einer Strickschule ergänzt wurde. 1924 ging die Frauenarbeitsschule in die Trägerschaft der Stadt über, war dann Arbeitsdienst-Lager und später „Haus der SS“.

Fahrzeuge des Roten Kreuzes und eine Männergruppe.

Einsatzzentrale und Schulungseinrichtung für das Deutsche Rote Kreuz war das Gebäude der 1902 eröffneten Frauenarbeitsschule.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zum Neubau des DRK-Rettungszentrums in der Weststadt war das Gebäude Einsatzzentrale und Schulungseinrichtung des Deutschen Roten Kreuzes. Zuletzt wurde es von der nichtorganisierten Jugend Weinheims in Anspruch genommen, die sich bis zuletzt heftig gegen den Abriss des längst maroden Hauses wehrte.

Die „Vier Jahreszeiten“

Zur Dürreplatz-Geschichte gehört auch der südöstliche Bereich, wo einst der Garten des Hotels „Vier Jahreszeiten“ an den Platz grenzte. Mit „Pfälzer Hof“, „Prinz Wilhelm“ und „Fuchs’scher Mühle“ zählten die „Vier Jahreszeiten“ zu Weinheim besten Adressen. Dr. Adam Karrillon, Ehrenbürger, Arzt und Heimatschriftsteller, hat dem Hotel in seinen Erzählungen vom „Stammtisch zum faulen Hobel“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Der Garten des Hotels mit dem freien Blick auf die Burgen war mit seiner künstlichen Ruinenlandschaft und einer japanischen Bogenbrücke etwas Besonderes für Weinheim. An die Stelle des von der Hauptstraße her zugänglichen Hotels und seines romantischen Garten trat 1954 das Kaufhaus Birkenmeier, 2010 das Einkaufszentrum Weinheim Galerie, das heute die Postanschrift Dürrestraße 2 hat.

1989 wurde schließlich das nördliche Lehrerwohnhaus durch den Neubau der Badischen Beamtenbank ersetzt. Heute erinnert nichts mehr an das einstige Schulzentrum auf dem Dürreplatz.

Platz vor der Dürreschule mit dem Rodensteinerbrunnen

Eine Aufnahme von 1908 zeigt den Platz vor der Dürreschule mit dem Rodensteinerbrunnen, dem Haus Wolf, dem Hotel „Vier Jahreszeiten“ (heute Weinheim Galerie) und dem Textilhaus Zinkgräf (heute Douglas).

Vom Rodensteiner bewacht

Die Kreuzung vor der Dürreschule, wo einst der Schafhofweg (heute Bahnhofstraße) in den Steinweg (heute Hauptstraße) mündete, war zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Drehscheibe Weinheim. Polizisten in Pickelhauben regelten den Verkehr bei Festzügen und achteten dabei sehr darauf, dass niemand dem Junker Hans von Rodenstein zu nahe kam, der von 1903 bis 1935 mitten auf dieser Kreuzung stand und über Weinheims Schulkinder wachte. Heute steht der Rodensteinerbrunnen auf dem einstigen Gänsemarkt, in den das Pflaumengässchen mündet und auf dem einst eine Kastanie stand. Der Jugendstil-Brunnen ist die eindrucksvollste Erinnerung an den Gemeinnützigen Verein, der ihn 1903 auf der Dürreplatz-Kreuzung errichten ließ als Geschenk der Weinheimer Bürger an ihre Heimatstadt.

Feuerwehrauto mit Besatzung (1925).

Auf dem baumbestandenen Dürreplatz wurde Feuerwehrgeschichte geschrieben. Hier fanden die Übungen der Wehr statt, von hier aus wurden noch im Zweiten Weltkrieg die Einsätze bei den Bombenangriffen auf Mannheim gestartet. Der Mannschaftswagen aus dem Besitz des städtischen Gaswerks war da natürlich nicht mehr dabei. Das historische Bild mit der Dürreschule im Hintergrund stammt aus dem Jahr 1925.

Fußweg vom Dürreplatz zum heutigen Kreisel auf der Grundelbachstraße.

Bis 1935 gab es nur einen Fußweg vom Dürreplatz zum heutigen Kreisel auf der Grundelbachstraße. Er führte über den Hang des Schulgartens, in dem sich heute die Tiefgarage befindet. Dann wurde die Verbindungsstraße gebaut. Sie erhielt den Namen von Professor Dr. Eduard Dürre, der allerdings zuvor schon Namensgeber war. Aus der bisherigen Dürrestraße an der Friedrichschule wurde die Steubenstraße.