1869: Der Eisenbahnanschluss des Odenwaldes wurde zum regionalen Thema

Für Weinheim „von colossaler Wichtigkeit”

Bild der Stahlträger der Brücke.
Zwischen der unteren und der oberen Hildebrand’schen Mühle und kurz nach der Haltestelle Weinheim-Tal, querte die 52 Meter lange „Weinheim-Tal-Brücke“ die Birkenauertalstraße. Bild: WN-Archiv

von Heinz Keller

Weinheim. Das Stadtarchiv verwahrt eine dicke Ratsakte mit dem Arbeitstitel „Betreffend die Erbauung einer Eisenbahn durch das Gersprenz- und Weschnitzthal”. In ihr ist ein Zeitungsartikel aus dem „Weinheimer Anzeiger” vom 14. September 1869 der erste öffentliche Hinweis auf das Weinheimer Interesse an einer Eisenbahnverbindung von der seit 1846 bestehenden Station Weinheim der Main-Neckar-Bahn durchs Weschnitztal nach Fürth und weiter durchs Gersprenztal nach Reinheim, die den Anschluss des mittleren und hinteren Odenwaldes ans große Verkehrsnetz bringen sollte. Reinheim war eine Station der im Bau befindlichen Odenwaldbahn von Darmstadt über Heubach, Höchst und König nach Erbach mit einer geplanten, aber erst 1882 verwirklichten Weiterführung nach Eberbach und zur Anbindung an die Neckartalbahn Heidelberg-Neckarelz.

Die Bahnverbindung mit dem Odenwald galt auch in Weinheim als „so collosale Wichtigkeit, dass man wegen der Vortheile und dem Gewinn für unsere Stadt keine Worte zu machen braucht”, schrieb der „Weinheimer Anzeiger” heute vor 150 Jahren und fügte den dringenden Wunsch an, „dass bald eine Versammlung zur Besprechung der wichtigen Angelegenheit erfolgt”.

Hessische Forderung

Die Geschichte der Weschnitztalbahn hatte allerdings schon 1862 begonnen, als die Großherzoglich Hessische Handelskammer in Darmstadt die Erschließung des Odenwaldes durch Bahnbauten mit Anschluss an das bereits bestehende Eisenbahnnetz als vordringliche Aufgabe thematisierte. 1866 bildete sich auf Drängen der Bürgermeister Keil (Fürth), Trautmann (Rimbach) und Rech (Mörlenbach) im oberen Weschnitztal ein Eisenbahnkomitee, das seine Wünsche zum Bau einer Eisenbahnstrecke durch den Odenwald in einer Denkschrift zusammenfasste und sie am 26. Februar 1866 dem Großherzoglich Hessischen Innenministerium in Darmstadt übergab.

Ziel: regionale Lösung

Hans-Günther Morr schildert in seinem Buch „Mit Volldampf durch den Odenwald” (Edition Diesbach, 2002) die intensiven Bemühungen an der Südgrenze des Großherzogtums Hessen-Darmstadt und macht die hohen Erwartungen deutlich in der Vision der Weschnitztäler Bürgermeister von einer großen regionalen Lösung: einer Querverbindung vom Rhein zum Main. Die Streckenführung sollte in Worms am Rhein beginnen und durch das Ried nach Bensheim und Heppenheim an die Bergstraße führen, wo es bereits seit 1846 die Main-Neckar-Bahn gab. Von Heppenheim aus sollten, durch das Kirschhäuser Tal, Fürth und das Weschnitztal erreicht werden. Die Odenwaldbahn sollte dann über Erbach nach Miltenberg und an den Main weitergeführt werden. Dabei hatten, so Morr, die Planer allerdings nicht mit den Eifersüchteleien zwischen den Städten Bensheim und Heppenheim gerechnet, die beide den Abzweigbahnhof der Odenwaldbahn für sich beanspruchten.

Weinheims Gegenvorschlag

Jetzt wurde Weinheim aktiv, wo sich im September 1869 auf Wunsch des Gemeinderats ein Eisenbahn-Comité bildete, das für eine Bahntrasse entlang des Bachlaufs der Weschnitz argumentierte und damit für weniger Bauaufwand als bei den bergigen Strecken von Heppenheim nach Fürth oder von Bensheim nach Lindenfels. Damit brachten die Weinheimer, die für damals 6.290 Einwohner sprachen und ihre Eisenbahnforderung mit fünf Fabriken, neun Mühlen, fünf Jahrmärkten und drei Wochenmärkten begründeten, die Nachbargemeinden im Weschnitztal auf ihre Seite, denn ihr Trassenvorschlag sollte Birkenau, Reisen, Mörlenbach und Rimbach auf dem Weg nach Fürth anbinden, die bislang außen vor geblieben waren.

Bei einem Treffen in Fürth im Januar 1870 wurden sich die Weschnitztal-Gemeinden und das Weinheimer Eisenbahn-Comité einig über die Notwendigkeit einer Eisenbahnlinie durch das Weschnitztal. Ihre Petition an das Innenministerium in Darmstadt und das Hanelsministerium in Carlsruhe – damals noch mit C geschrieben – fand in den Hauptstädten zwar Zustimmung, aber mit der Einschränkung, dass das Projekt einer Eisenbahnlinie von Reinheim über Weinheim nach Mannheim nur mit Privatkapital verwirklicht werden könne, weil „die Erbauung der fraglichen Eisenbahn auf Staatskosten zur Zeit nicht in Absicht liegt”.

„Kein Bahnbau im Ausland”

Auch nach dem Staatsvertrag zwischen den Großherzögen Friedrich von Baden und Ernst Ludwig von Hessen „zur Herstellung einer Eisenbahn von Weinheim nach Fürth” vom 7. Juni 1890 mussten noch einige Widerstände überwunden werden, ehe am 1. Juli 1895 die 16,4 Kilometer lange Bahnstrecke zwischen Weinheim und Fürth eröffnet und der erste Zug im Birkenauer Tal durch drei Tunnel und über zwei Brücken ins Weschnitztal dampfte, ab 1901 auch von Mörlenbach nach Wahlen, aber nie von Fürth ins Gersprenztal und nie von Fürth nach Heppenheim, das sich lange hochpatriotisch einem Eisenbahnbau „im Ausland” widersetzt hatte.

Netz von Verbindungen

Der Anschluss des Odenwaldes an Mannheim erfolgte 1887 mit dem Bau der eingleisigen Dampfbahnstrecke Weinheim-Mannheim, der ersten Schmalspurbahn in Baden, die Verbindung nach Worms besorgte ab 1905 die Wormser Bahn von Weinheim über Muckensturm (mit Haltepunkt), Viernheim und Lamperheim. Die Mannheimer Bahn, die am damals in voller Blüte stehenden Stahlbad einen Haltepunkt hatte, wurde 1911 von der OEG abgelöst, die Überwaldbahn wurde 1994 stillgelegt, die „Wormser Hex” fuhr 1960 letztmals von Weinheim nach Worms, bis 2002 nur noch nach Viernheim, der anschließende private Güterverkehr endete 2010. Auf der Trasse soll ist ein Radschnellweg geplant.