Steinweg, Hauptstraße, Fußgängerzone:

Bindeglied zwischen Alt- und Neustadt

Blick in die Hauptstraße (1955)
Im Schmuck der 1200-Jahr-Feier 1955: die Hauptstraße, die Einbahnstraße war, aber noch keine Fußgängerzone.

von Heinz Keller (erschienen 2014)

Einst verband sie die Altstadt um die Peterskirche mit der Neustadt um den Marktplatz. Später wurde sie Fernverkehrsstraße, als die Handelsfahrzeuge und Kutschen von Heidelberg nach Frankfurt über den Marktplatz und über sie zur Weschnitzfurt bei der Alten Post rollten, weil es noch keine Innenstadtumgehung mit der Landstraße (heute B 3) und keine Weschnitzbrücke gab. Dann siedelten sich Bauern und Handwerker auch außerhalb der Stadtmauern an und seit dem 19. Jahrhundert entwickelte sich der Steinweg zur Geschäftsstraße. Nun nannte man die Verbindung zwischen Neustadt und Altstadt nicht länger Steinweg, wie seit 1300, sondern Hauptstraße. Ihr lebendigster Abschnitt wurde 1974 zur Fußgängerzone umgestaltet. Eine Sanierung und Modernisierung erfolgte ab 2009 in zwei Bauabschnitten.

Der 750. Jahrestag des Hemsbacher Schiedsspruchs, mit dem ein königliches Schiedsgericht 1264 dem Pfalzgrafen Ludwig II. im Streit mit dem Mainzer Erzbischof das Recht über die neugegründete Stadt Weinheim und die Burg Weinheim, die heutige Windeck, zusprach, war 2014 der Anlass für ein Stadtfest. Auf dem neu gestalteten Windeckplatz, auf dem früher das Kaufhaus Barth & Beck stand und seit 2011 die Broncefiguren der beiden Weinheimer Originale Bas Greth und Vetter Philp die Entwicklung ihrer Stadt beobachten, wurde zünftig gefeiert: mitten in der Fußgängerzone und in der Mitte der beiden Häuserzeilen, die die Hauptstraße rahmen.

Blick in die Hauptstraße.

Der Fotograf sah noch Eisenhandlung Jochim, Kaufhaus Barth & Beck (links), Café Krautinger und Kaisers Kaffeegeschäft (rechts). Das Kaufhaus wurde durch den Windeckplatz ersetzt. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Die Gebäude haben eine lange Geschichte und sie können viele Geschichten erzählen: von den Handwerkern und Gewerbetreibenden, die sie erbauten, von den Krämern, die in ihnen ihre Verkaufsstellen einrichteten und damit die Marktstände der Gerber, Schuhmacher und Gürtler, der Bäcker, Metzger, Käskrämer und Buchbinder ablösten, die bis dahin am Steinweg zwischen Niedertor und Rossmarkt – heute zwischen Grabengasse und Grimminger – ihre Produkte verkauften.

Vor 100 Jahren hätte man die Eckpunkte der ursprünglichen Fußgängerzone – sie beginnt heute bereits bei der Weinheim-Galerie – mit zwei historischen Gaststätten markiert: dem „Karlsberg“ und dem „Grünen Baum“, der heute mit dem Namensband am Haus und dem Wirtshausschild als einzig von einstmals zahlreichen Gaststätten im Steinweger Viertel, zwischen Dürreplatz und Grabengasse, noch erkennbar ist. Die anderen sind längst verschwunden: der „Reichsapfel“, die „Vier Jahreszeiten“ und das „Weiße Ross“ (alle im Bereich der Weinheim-Galerie), der „Viehhof“ am Rossmarkt (heute Commerzbank) oder der „Rote Löwe“, einst Zunftlokal der Bäcker, Küfer und Schuhmacher (heute Drogeriemarkt Müller).

Historischer Blick vom ehemaligen Rossmark.

Ein historischer Blick vom ehemaligen Rossmarkt, auf dem heute die Reiterin steht, in die heutige Fußgängerzone. Mit der Bierhalle „Karlsberg“ (rechts), Kölner Konsumgeschäft, Café Vogel, Isaak Heil und Ferdinand Neu (links).

Bei einem Schaufensterbummel von der Reiterin zum Marktplatzbrunnen konnte man am Hut-, Stock- und Schirmgeschäft von Franz Josef Heisel stehen bleiben, der in seiner Wahlheimat Weinheim den Sommertagszug begründet hat. Die Buchhandlung Schäffner bot, wie heute, Lesestoff, aber auch Buchbinderei an, Gertrude Hessinger (heute Weczera) hatte Kurz-, Weiß- und Wollwaren, Moritz Neu nebenan Damen- und Herren-Konfektion. Geschwister Mayer (heute Müller-Markt) hieß eines der ersten Warenhäuser, seine Nachbarn waren Kaisers Kaffeegeschäft, Weinheims Kaffeepionier, und Max Krämer, der Modewaren verkaufte.

Auf der anderen Straßenseite verrieten die Geschäftsschilder Namen, die heute keiner mehr kennt: Isaak Heil und Ferdinand Neu (heute Commerzbank), Goldschmied Friedrich Schmitt, Jakob Rothschild, Josef Wetterhahn, Georg Stürzenacker, Eisen-Jochim, Gustav Dell, Karl Neureither, Sigmund Brückmann, Karl Gopp, Ferdinand Stiefel, Drogerie Reinshagen, Heinrich Liebmann und Uhren-Nicolai.

Warenhaus Geschwister Mayer.

Hauptstr. 100. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

„Unbedingt größtes, billigstes und reellstes Sortimentsgeschäft am Platz“ nannte sich das Warenhaus Geschwister Mayer, das von 1897 bis 1936 an der Stelle um Kunden warb, an dem sich heute der Drogeriemarkt Müller befindet. Das jüdische Kaufhaus wurde 1936 aus dem Gewerberegister gestrichen, 1937 eröffnete Karl Birkenmeier in dem inzwischen erworbenen Gebäude eine „Verkaufsstelle für Textilien und Hartwaren“ – der Anfang des Kaufhauses Birkenmeier. 1990 wurde das aus dem 17. Jahrhundert stammende ehemalige Gasthaus „Zum Roten Löwen“ abgerissen.

Nach 1938 verschwanden die jüdischen Firmennamen und es geriet in Vergessenheit, welchen bedeutenden Anteil die jüdischen Geschäfte – 20 lagen an der Hauptstraße – auf die Anziehungskraft Weinheims als Einkaufsstadt für Bergstraße und Odenwald damals hatten. Für Adolf Braun, Hugo Rothschild und Jakob Blach war es selbstverständlich, im Interesse Weinheims in der Ortsgruppe des Badischen Einzelhandelsverbandes mitzuarbeiten, wie sich der Schuhmacher Samuel Simon, der Schneider Herbert Stiefel, der Polsterer Sigmund Brückmann und die Metzger Max Oppenheimer, Hermann Hirsch und Karl David in ihren Innungen engagierten. Einem Teil der jüdischen Geschäftsinhaber gelang rechtzeitig die Auswanderung, die Zurückgebliebenen kamen in Gurs und Auschwitz ums Leben.

der „Grüne Baum“ an der Ecke Hauptstraße/Grabengasse

Er könnte einst ein Zollhaus am Niedertor gewesen sein, munkelt man: der „Grüne Baum“ an der Ecke Hauptstraße/Grabengasse. Das gastliche Haus war Treffpunkt zahlreicher Vereine und Stätte großer Festlichkeiten von Singverein und Turnverein in dem riesigen Garten, der sich bis zur Institutstraße hinaufzog. Er wurde allerdings immer mit dem Namen des jeweiligen Besitzers in Verbindung gebracht: „Kratzers Garten“ oder „Bockstahlers Garten“.

1958 gab es zwischen „Karlsberg“ und „Grünem Baum“: Zigarren-Frey, Drogerie Pohl, „Nordsee“, Färberei Printz, Delert, Café Krautinger, Möbelhaus Birkenmeier, Friseur Friedrich, Herrenausstatter Heeger und Metzgerei Geißler. Zwischen Café Vogel und EngelApotheke boten Adolf Noky, Uhren-Schmich, Janzer & Block, Fritz Janzer, Richard Stürzenacker, Georg Nicolai, Elektro-Sernatinger, Barth & Beck, Luise Keller, August Scholz, Carl Funder, Feinkosthaus Mohr, Lebensmittel Schreiber und das Kaufhaus Jacob ihre Waren an.

Frauengespräch in der Hauptstraße.

Die Hauptstraße war immer auch ein Ort, wo Wahrheiten und Gerüchte getauscht wurden, wo das Gespräch ein wichtiger Bestandteil des Marktganges war. Das Bild entstand auf der mittleren Hauptstraße vor dem „Badischen Hof”. Bild: Stadtarchiv Weinheim.