Lokale Kinogeschichte seit 1914
Als auch in Weinheim die Bilder laufen lernten
von Heinz Keller
Das Kino hat Geburtstag: am 28. Dezember 1895 führten die Brüder Louis Jean und Auguste Lumière in einer ausgedienten Billardhalle des Pariser „Grand Café“ am Boulevard des Capucines ihr erstes öffentliches Filmprogramm vor. Sie bedienten sich dabei eines technisch ausgereiften Projektionsverfahrens, das die bisherigen „Vorführungen lebender Bilder“ verdrängte: das „Eidoloskop“ von Major Woodville Lathams ebenso wie das „Bioskop“ der beiden Berliner Bastler Max und Emil Skladanowski, den italienischen „Kineto grafo“ und den britischen „Theatrograph“. Das Projektionsverfahren der Lumières vereinigte Aufnahmekamera und Abspielmaschine in einem einzigen Gerät und gab dem Lichtspieltheater schließlich seinen bis heute populären Namen. Der französische „Kinematograph“ wurde zum Maschinenvater aller heutigen Vorführgeräte.
Abspielhallen nach Art der Lumières, verbreiteten sich schnell. Das Programm setzte sich aus mehreren kurzen Filmstreifen zusammen, dauerte zehn bis fünfzehn Minuten und wurde in endloser Wiederholung abgekurbelt. Die bewegten Bilder überlebten zunächst aber vor allem als Sensation auf Jahrmärkten und in Wirtshäusern.
Kinematographen am Juxplatz
In Weinheim tauchten die ersten Wanderkinos kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf. Sie kamen zu Volksfesten wie dem Sommertagszug oder der Kerwe auf den Juxplatz. Auf dem „neuen Platz bei der Bürgerbrauerei“, wie der Juxplatz 1907 in den ersten Zeitungsanzeigen genannt wurde, unterschieden sich die Vorführstätten offensichtlich, denn die Werbung beschränkte sich nicht auf die Darbietung der „letzten Neuheiten“, sondern bezeichnete „Hirdt’s bekannten Riesen-Kinematographen“ auch als „elegantes Unternehmen dieser Branche mit eigener elektrischer Lichtanlage und eigener Musikkapelle“. Neben Berichten aus dem Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 und von der Flottenparade 1904 vor Helgoland wurden auch aktuelle lokale Aufnahmen vorgeführt: vom Ausgang der Gottesdienstbesucher aus der Weinheimer Synagoge und vom Arbeitsende der Freudenberg-Arbeiter am Werkstor.
Vom Juxplatz wanderten die Kinematographen um 1910 in die Wirtshaussäle. Die filmisch erfassten Neuigkeiten wurden samstags und sonntags vorgeführt. Einer dieser Säle wurde zur Geburtsstätte der Weinheimer Kinogeschichte: der Saal des Gasthauses „Zum grünen Laub“ an der unteren Hauptstraße, nahe dem heutigen Standort des Rodensteinerbrunnens. Hier seien schon 1904 Filme gelaufen, hat Franz Ade, der große alte Mann des Kinos in Weinheim, wiederholt berichtet.
Das „atemlose Tempo“ der Leinwand-Abenteuer muss in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts auch die Kleinstadt Weinheim erfasst haben. Denn im Anzeigenteil des „Weinheimer Anzeiger“ warben ab 1907 zahlreiche Veranstalter um Zuschauer. 1910 hatten die Weinheimer die Auswahl zwischen regelmäßigen Wochenend-Angeboten des „Zentral-Kinematographen“ im „Grünen Laub“ und des „Welt-Kinematographen“ im „Badischen Hof“ an der mittleren Hauptstraße, aber auch Franz Josef Heisel, der spätere Begründer des Weinheimer Sommertagszuges, versuchte sich neben dem „Karlsberg“ (heute Grimminger) mit einem Kinematographen.
1914: Union-Lichtspiele
Den ersten Kino-Namen gab es am 20. September 1914: im Saal des „Grünen Laub“ wurden die Union-Lichtspiele eröffnet. Die ersten Filme drehten sich, acht Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, vor allem um Kämpfe deutscher Soldaten auf den verschiedenen Schlachtfeldern und natürlich um den Kaiser. Daneben standen historische Filme („Aus Preußens schwerer Zeit“) und Naturschilderungen auf dem Programm der beiden Sonntag-Vorstellungen. An Silvester 1914 gab es eine „Gala-Vorstellung“: als Hauptschlager wurde „Die Welt ohne Männer“ angekündigt, mit dem Zusatz „Nur für Erwachsene“.
Seine Blütezeit erlebte das Kino in den 1920-er Jahren. Inzwischen gab es in dem 1907/08 erbauten Tanzsaal des Gasthauses „Zum Zähringer Hof“ an der damaligen Sulzbacher Landstraße (heute Möbel-Oberst an der Bergstraße) die Odeon-Lichtspiele und im Bahnhofhotel „Prinz Wilhelm“ (heute Polizeirevier) die Konzerthaus-Lichtspiele. Kinobesucher von damals erinnerten sich, dass die Filme lange ohne Ton waren, aber inzwischen begleitet wurden von einem Klavierspieler und vom Kinoerzähler, der die Handlung kommentierte, ergänzt von Geräuscheffekten hinter der Leinwand. Unvergessen blieb auch der Mann, der vor jeder Vorstellung mit der Flitspritze durch den Saal lief, auf Mückenjagd ging und um besseren Duft bemüht war.
Drei Kinos ab 1924
Am 23. Dezember 1924 war die Idee von Konditormeister Ludwig Vogel verwirklicht, im Hintergebäude seines Café Vogel einen Kino-Neubau zu errichten, zwischen dem Textilhaus Isaak Heil (heute Commerzbank) und der Drogerie Eichhorn (später Birkenmeier, heute Weinheim-Galerie). Vogel nannte das neue Innenstadt-Kino nach seinem Namen Luvo-Lichtspiele. Im März 1925 wurde es von Franz Ade übernommen und erhielt den bis heute gültigen Namen Modernes Theater.
1924 gab es in Weinheim drei Lichtspielhäuser: das Moderne Theater, die Odeon-Lichtspiele und die Union-Lichtspiele, die als Alhambra-Theater von den Vereinigten Alhambra-Theatern Speyer-Mundenheim nach jahrelanger Schließung des Saals im „Grünen Laub“ wiedereröffnet worden waren. 1930 übernahm Franz Ades Offenburger Schwager Josef Zink das Alhambra und gab es 1931 an Ade weiter, der nun Herr der „Vereinigten Lichtspiele“ war. 1932 wurde das Odeon geschlossen und damit waren Alhambra und Modernes die einzigen Weinheimer Kinos. Zwischen Dezember 1936 und Oktober 1937 wurden sogar nur im Modernen Theater Filme gezeigt, weil das Alhambra wegen unerfüllter Auflagen vom Bezirksamt Weinheim geschlossen worden war.
Vom Alhambra zum Apollo
Mit dem Ufa-Film „Zu neuen Ufern“, mit Zarah Leander und Willy Birgel in den Hauptrollen, und 634 Sitzplätzen wurde das völlig neu gestaltete Alhambra 1937 als „Apollo-Lichtspieltheater“ wiedereröffnet. Über 478 Sitzplätze verfügte das Moderne Theater, das 1943 sanierungsbedürftig wurde. Doch der Landrat entschied: „Die Genehmigung zur vorübergehenden Schließung kann bei dem außergewöhnlich großen Bedürfnis der Bevölkerung an kulturellen Veranstaltungen nicht gegeben werden“. Zwischen dem antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ und dem Durchhaltefilm „Kolberg“ suchten die Weinheimer in der Tat Entspannung bei Heinz Rühmanns „Feuerzangenbowle“ oder Marika Rökks „Frau meiner Träume“.
Eine Kriegsfolge war übrigens das seit 1940 immer wieder beklagte Problem, dass Besucher ihre Fahrräder auf den Gehweg stellten und Passanten bei der völligen Verdunkelung der Stadt darüber stolperten.
Vier Nachkriegsnamen
Mit Franz Ade und Karl Babelotzky, dem neuen Besitzer des Modernen Theater, wurde die Kinogeschichte in der Nachkriegszeit fortgeschrieben. Das Interesse am Kinobesuch war riesengroß und erzeugte lange Warteschlangen vor den Kinokassen. Im März 1951 bekam das Apollo im alten „Eiche“-Saal an dem noch nicht verdolten Grundelbach einen Bruder: die Capitol-Lichtspiele. Im November 1956 erhielt die stetig wachsende Weststadt mit den Regina-Lichtspielen an der Stahlbadstraße (heute Gartenbedarf von Büren) ein eigenes Kino. Besitzer waren Willy Klein und Hans Kasrl aus Mannheim. Das Regina schloss bereits 1969.
Apollo (ab 1989 mit Bambi) und Capitol standen ab 1970 unter der Regie der Babelotzky-Tochter Olly Thurn-Ciaccio, das Moderne leitete Alfred Speiser. Das Capitol (heute Ausfahrt Tiefgarage Dürreplatz) schloss im Oktober 1997. Im März 1998 verschwand Weinheims ältester Kino-Standort mit dem Abbruch des Hauses Hauptstraße 36. Der „Wohnpark Apollo“, der 1997 den Anlass für den Verkauf des Lichtspielhauses war und am 1. April 1998 starten sollte, kam allerdings nicht zustande.
Mit dem Gebäudeabbruch verschwand auch die Erinnerung an die Gaststätte „Zum grünen Laub“, die 1878 Gründungs- und jahrelang Vereinslokal der Turngenossenschaft Jahn 1878 Weinheim war.
Erscheinungsdatum Dezember 1995