1919: Erste Kommunalwahl nach dem Krieg / Frauen durften wählen und gewählt werden

Der Gemeinderat blieb eine reine Männergesellschaft

von Heinz Keller

Weinheim. Auch 1919 war, wie es 2019 ist, ein Superwahljahr: am 12. Januar wurde der erste Landtag im Freistaat Baden gewählt, eine Woche später folgte die Wahl der verfassunggebenden Nationalversammlung und am 25. Mai und 1. Juni wurden in den badischen Städten und Gemeinden die Kommunalparlamente gewählt. In Weinheim, Amtsstadt des Bezirksamts Weinheim mit 14.534 Einwohnern, fanden die ersten Kommunalwahlen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs am 1. Juni 1919 statt. Aufgerufen war zur „Wahl der Stadtverordneten“. Zu wählen waren die 72 Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung. Fünf Parteien, zum Teil erst im Jahr zuvor gegründet, bewarben sich um die Mandate. Und weil erstmals auch Frauen wählen und gewählt werden durften, standen auf allen Vorschlagslisten die Namen von Frauen. Insgesamt kandidierten 22 Frauen – nicht nur drei, wie im Weinheimer Frauenbuch von 2000 irrtümlich dargestellt – neben 258 Männern (8,5 %).

Den höchsten Frauenanteil verzeichnete die Liste des Zentrums. Die vier Frauen machten unter den 24 Männern 16,6 Prozent aus. Die Deutschnationalen (DNVP) hatten sieben Frauen unter ihren 72 Kandidaten (9,7 %), die Demokraten (DDP) drei unter 50 Bewerbern (6 %), die (Mehrheits-) Sozialdemokraten sechs unter 72 Kandidaten (6,9 %) und die linken Unabhängigen Sozialdemokraten drei unter 40 Kandidaten (7,4 %).

Von den 22 Kandidatinnen, die zumeist schlecht platziert waren, wurden drei (4,2 %) in die Stadtverordnetenversammlung gewählt: die Ärztin Dr. Victoria Kauert (DDP), Emma Eyermann (DNVP), Lehrerin an der Höheren Töchterschule, und die Arbeiterin Sofie Fath (SPD). Etwas überraschend kam Ella Andreae, die Vorsitzende der Ortsgruppe Weinheim im Badischen Verband für Frauenbestrebungen und Leiterin von Kriegsküche und Kriegsschuhflickerei, als DDP-Kandidatin nicht zum Zug.

Wie hoch die Beteiligung der Weinheimer Frauen an dieser Wahl war, ist nicht festgehalten. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung in Weinheim bei 67,5 Prozent.

Von den 72 Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung entfielen 28 auf den klaren Wahlsieger SPD, für den 38 % der gültigen Stimmen abgegeben wurden, 15 Sitze errang die DDP (20,4 % Stimmenanteil), 12 die DNVP (17,2 %), 10 die USPD (13,6 %) und sieben das Zentrum (10,7 %).

Die von den wahlberechtigten Bürgern direkt gewählten Stadtverordneten wählten am 16. Juni 1919 in geheimer Abstimmung die zwölf Mitglieder des Gemeinderats, mit denen zusammen sie den 84 Mitglieder umfassenden Bürgerausschuss bildeten. Die SPD stellte bis 1922, dem nächsten Kommunalwahltermin, fünf Gemeinderäte (Martin Böhler, Ludwig Eschwei, Karl Fichtner, Georg Peter Müller und Philipp Schuhmann), die DDP drei (Richard Freudenberg, Georg Friedrich Vogler und Friedrich Wagenek), die DNVP zwei (Friedrich Pfrang und Karl Zinkgräf), je einen die USDP (Georg Kraft) und das Zentrum (Franz Bleienstein).

Der Gemeinderat blieb damit eine reine Männergesellschaft, denn keine Frau schaffte den Sprung in das Gremium. Zum Stellvertreter von Bürgermeister Dr. Karl Alexander Wettstein wurde Karl Fichtner (SPD) gewählt.

Bekannte Weinheimer wirkten in der Wahlperiode bis 1922 ehrenamtlich im Bürgerausschuss. Bei der DDP Fabrikant Julius Zaiser (Drei Glocken), Feuerwehrkommandant Karl Wild, Regierungsbaumeister Hermann Hopp, Professor Otto Keller, Zeitungsverleger Otto Diesbach und Konditormeister Ludwig Vogel (Café Vogel), bei der DNVP Fabrikant Philipp Leinenkugel (Stuhlfabrik), Oberamtsrichter Dr. Ludwig Kampp, Konditor Philipp Franzmann, Sparkassendirektor Emil Bickel und Badenia-Direktor Arno von Arndt, bei der SPD Leonhard Morweiser, Konsum-Geschäftsführer Wilhelm Reinecke, Karl Häußermann (Baugenossenschaft), „Hirschkopf“-Wirt Georg Rögner und Christoph Schenk von den „Naturfreunden“, beim Zentrum Stuhlfabrikant Heinrich Andries, Buchbindermeister Franz Schäffner, Tünchermeister Franz Bleienstein, Karl Schretzmann, Leiter des Gräflich von Berckheim’schen Rentamtes, Professor Burger, Kaufmann Fritz Janzer und der junge Jakob Petry, der 1935 bei der Berufung der Ratsherren durch die NSDAP das letzte Opfer der Gleichschaltung werden sollte.

Zwei jüdische Weinheimer wurden 1919 zu Stadtverordneten gewählt: Dr. Moritz Pfälzer (DDP), Rechtsanwalt, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Weinheim und stellvertretender Vorsitzender des Oberrats der Israeliten Badens, und der Lederkaufmann Sally Neu (SPD).