Müllemer Erinnerungen: Oehlig-Mühle, ’s Platze Fabrik und Fellspeicher

Hochwasserfolgen auf der Müllheimer Talstraße beim Gasthaus „Zum goldenen Stern”.
Hochwasserfolgen auf der Müllheimer Talstraße beim Gasthaus „Zum goldenen Stern“ (links). Bei der Einmündung der Burggasse (rechts) war der Bach über die Mauer geschwappt. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Mit der Sanierung des Grundelbachkanals in der Burggasse und den sie begleitenden Erneuerungsarbeiten an Straße und Versorgungsleitungen wird sich die „Unterwelt“ des Mülls verändern und danach, wenn auch unsichtbar, dem Wandel entsprechen, der sich in den letzten Jahrzehnten in der „Oberwelt“ unübersehbar vollzogen hat. Denn kein anderer Weinheimer Stadtteil hat sich so grundlegend verändert wie das Müllheimer Tal, Weinheims südöstliches Tor zum Odenwald. Vieles, was den nach der Nordstadt zweitältesten Stadtteil über Jahrhunderte geprägt hat, ist seit 1956 mit der Verdolung „der“ Grundelbach – im Weinheimer Dialekt ist der Bach bekanntlich weiblich – verschwunden, noch mehr aber haben der Abbruch der Industriebauten und das Entstehen neuer Wohninseln das Stadtbild verändert. Wo man einst arbeitete, um zu leben, lebt und wohnt man heute und genießt dabei die reizvolle Landschaft im Taleinschnitt zwischen Windeckhang und Exotenwald.

Erinnerungen werden wach

Projekte wie die Kanalsanierung wecken kurzzeitig Erinnerungen an die Vergangenheit eines Stadtgebiets, auch wenn es davon heute kaum mehr etwas zu sehen gibt. Es fällt deshalb auch schwer, sich eine schmale Burggasse vorzustellen und daneben den Bach, der bei Hochwasser alles überflutete und den Schlamm, den er mit sich führte, hinausschob auf die Müllheimertalstraße und weiter zum Wehr an der Lohmühle. Dann hatten die Kutscher der Pferdefuhrwerke, die die Produkte der jungen Industriebetriebe zum Bahnhof bringen sollten, erhebliche Schwierigkeiten mit Schlamm und Geröll, die ja auch den Gassenweg herunter geströmt waren. Erst 1863 änderte sich das, als in einer Gemeinschaftsaktion der Firmen Freudenberg und Platz der Bach ein richtiges Bett bekam, Mauern, Brücken und Stege gebaut wurden. Das alles verschwand wieder bei der Kanalisierung des Grundelbachs, der nun seit über 60 Jahren in einem Kanalrohr seiner Mündung in die Weschnitz bei der Peterskirche entgegen fließt.

Wohnhaus als die letzte Erinnerung an die alte Oehlig-Mühle, ’s Platze Fabrik und den Fellspeicher.
Bis in die 1960-er Jahre war das Wohnhaus mit dem Gärtchen davor die letzte Erinnerung an die alte Oehlig-Mühle, ’s Platze Fabrik und den Fellspeicher. Bild: Stadtarchiv

Oehlig-Mühle und Fellspeicher

Verweht sind heute auch die Erinnerungen an „’s Platze Fabrik“ und an die 1634 als Ölmühle begründete, später um eine Malmühle erweiterte Oehlig-Mühle, in deren Räume die Mechanische Werkstätte von Wilhelm Platz 1846 eingezogen war, weil es in der Scheune hinter der heutigen Buchhandlung Schäffner in der Fußgängerzone keine Erweiterungsmöglichkeiten für sie gegeben hatte.

Vergangen sind die Erinnerungen an den Fellspeicher der Firma Carl Freudenberg, der nach 1888 auf dem Platz’schen Gelände für die nahe Gerberei eingerichtet wurde. Die Müllemer waren nicht besonders glücklich mit dem Gebäude, in dem man zwar Arbeit und Brot in schwerer Zeit fand, dem aber auch penetrante Gerüche entwichen, über die man nicht nur die Nase rümpfte, sondern auch kräftig fluchte. Pro Jahr wurden im Fellspeicher einige hunderttausend eingesalzene Felle gelagert und für die weitere Verwendung vorsortiert.

Nach dem Umzug der Gerberei aus dem Müll an den neuen Standort Zwischen Dämmen und dem Neubau eines Fellspeichers wurden in den Lagerbauten des Müllemer Fellspeichers die Kutschen der Herren Freudenberg gepflegt, allen voran der flotte Achenbach Jagdwagen von Walter Freudenberg, mit dem der Vetter von Richard, Hans und Otto Freudenberg zu seiner Jagd in Ursenbach fuhr. Die Gebäude des ehemaligen Fellspeichers wurden in den 1950er Jahren abgerissen. Auf dem Gelände entstanden Wohnungen und Parkplätze. Heute befinden sich auf dem Areal zwischen Burggasse und Müllheimertalstraße die Einrichtungen des sozialen Dienstleistungs- und Betreuungszentrums der Arbeiterwohlfahrt Rhein-Neckar.

Der Burgweiler Mulen

Mulen wurde der Burgweiler unterhalb von Schloss Winenheim, der heutigen Burg Windeck, 1130 in seiner ersten urkundlichen Erwähnung im Lorscher Codex genannt, später auch mal Müllheim oder Mühlheim. Die fünf Mühlen im Tal gehörten zur Burg Windeck, auf der zunächst Lorscher, später pfalzgräfliche Burgmannen saßen. Den herrschaftlichen Herren waren die Bewohner des Dorfs vor den Toren der Neustadt zu Abgaben und Diensten verpflichtet. In Kriegszeiten mussten sie Wachdienst leisten, die Burg fegen und kehren, Holz hauen, Wasser und Nahrung das „Schlosspädel“ hinauftragen. „Wenn es Sturm läutete“, so steht es im Lorscher Codex, „hatten sie sich aufs Schloss zu begeben und dort das zu tun, was ihnen befohlen wurde“. Bis 1463 hatte das Müll ein eigenes Gericht, 1495 wurde das „Müllemer Viertel“ als eines der acht Weinheimer Stadtviertel bezeichnet, hatte aber bis ins 19. Jahrhundert einige Sonderrechte. 1805 verlor das Müll seinen eigenen Bürgermeister, 1811 wurde, gegen den Protest der Einwohner, die Gleichstellung mit Weinheim beschlossen, 1812 die Vereinigungsurkunde unterzeichnet.

Blick in die Burggasse mit dem einst offen fließenden Grundelbach.
Blick in die Burggasse mit dem einst offen fließenden Grundelbach. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Seit 1307 Burggasse

Die Burggasse, 1307 erstmals urkundlich erwähnt, hat ihren Namen von der Burg Windeck. Über die Burggasse, die heutige Betentalstraße und den von ihr abzweigenden Schlosspfad schleppten die Müllemer ihre Bede, die mittelalterliche Abgabe, hinauf zur Burg. Das Tälchen, über das sich das mühselige „Steuerzahlen“ vollzog, nennen die Weinheimer bis heute das „Bedaal“. An der Burggasse hat Carl Kornmeier (1892-1981), einer der beliebtesten Weinheimer Maler, gelebt und gearbeitet. Seinem künstlerischen Schaffen, aber auch den Motiven, die ihm sein Umfeld boten, war 2018 die Ausstellung „Carl Kornmeier und das Müll“ im Museum der Stadt Weinheim gewidmet, verbunden mit Fotografien aus dem Bilderschatz des Stadtarchivs, die die Vergangenheit des Viertels zurückholten: die Gaststätten vom „Goldenen Stern“ bis zur „Burg Windeck“, die Bäckereien, Metzgereien und Lebensmittelgeschäfte, die Drogerie Waldhelm, zu der aus der Burggasse und über den Grundelbach ein eigener Steg führte, der Bierkeller, die niedrigen Häuser der einstigen Fronarbeiter und späteren Fabrikarbeiter, die Geschichten um das spektakuläre Dreschen mit den Dreschflegeln, die „Gaase-Hebamm“, die Ziegen-Hebamme, die Kohlenhandlung Dattge, wo die Müllemer mit dem Handwagen einst Kohlen und Briketts holten, und das legendäre „Sägomobil“ von Karl Ebert.

Es war die Zeit, als das schmale Wohnhaus der einstigen Oeligmühle mit dem spitz zulaufenden Garten und einem langen Mäuerchen die letzte Müllemer Erinnerung an „’s Platze Fabrik“ war, deren Geschichte 1953 mit dem Ende der Maschinenfabrik Badenia schloss, in der sie in den 1880er Jahren aufgegangen war.

(2021, © www.wnoz.de)

 

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