Reichstagswahlen in der Weimarer und NS-Zeit
von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Oskar Geck war der Vertreter des Reichstagswahlkreises Mannheim, als das Kaiserreich endete, Oskar Geck war der Vertreter des Wahlkreises Mannheim, als in Weimar die Verfassunggebende Nationalvernachsammlung zusammentrat, um aus dem Deutschen Reich nach den revolutionären Erschütterungen der unmittelbaren Nachkriegszeit eine parlamentarische Demokratie zu machen. Der Mannheimer „Volksstimme“-Redakteur (1887-1928) war nach dem frühen Kriegstod von Dr. Ludwig Frank 1914 in den Reichstag gewählt worden, dem er bis zum Ende der Monarchie 1918 angehörte. 1919 wurde er Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und danach gehörte er von 1920 bis zu seinem Tod 1928 dem Deutschen Reichstag an. Geck verkörperte mit fünf Wahlperioden den Aufstieg der Sozialdemokratie zur stärksten Partei im Kaiserreich und zur prägenden politischen Kraft in der Weimarer Republik, in der die Abgeordneten nicht mehr nach dem Mehrheits-, sondern einem Verhältniswahlrecht gewählt wurden, nun auch von Frauen und schon von Zwanzigjährigen.
Oskar Geck gehörte 1919 bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung zu den souveränen Wahlsiegern der Mehr-heits-Sozialdemokraten, er blieb auch trotz den für die MSPD sehr verlustreichen Wahl zum ersten Reichstag der Weimarer Demokratie 1920 der Mannheimer Vertreter und wurde 1924 in beiden Wahlgängen und 1928 erneut in den Reichstag gewählt. Eine Woche nach seiner 5. Wahl zum Reichstagsabgeordneten verstarb Oskar Geck in Mannheim.
Gewinne für Demokratiefeinde
Die Wahlen zum 5. Reichstag standen 1930 ganz im Zeichen der Weltwirtschaftskrise, in der Armut und Verzweiflung schnell um sich griffen. Und weil der Staat keine Mittel gegen die wirtschaftliche und politische Krise fand, radikalisierten sich große Bevölkerungsteile und verschafften den links- und rechtsradikalen Kräften starke Stimmengewinne. In Baden konnte die NSDAP auf Anhieb drei Reichstagsssitze gewinnen. Im Amtsbezirk Weinheim (Lützelsachsen, Hohensachsen/Ritschweier, Großsachsen, Leutershausen, Sulzbach, Hemsbach, Laudenbach, Oberflockenbach, Rippenweier, Ursenbach und Weinheim) wurden die Nationalsozialisten stärkste Kraft, die Kommunisten zogen mit den Sozialdemokraten gleich.
Auch 1932 wurden die Wähler zweimal an die Urnen gerufen. Aus beiden Wahlen ging die NSDAP als stärkste Partei hervor. Im Reich erreichte sie 37,4 % (31. Juli) und 33,1 Prozent (6. November) Stimmenanteil, in Weinheim-Stadt mit einem Zugewinn von 1.200 Stimmen 40 % und 39,8 %, in Weinheim-Land mit mehrfach verdoppelter Stimmenzahl 39 % und 34 %. Die Wahlveranstaltungen waren im Juli von blutigen Zusammenstößen begleitet, hauptsächlich zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. „Der politische Terror auf den Straßen nimmt zu“ titelte der Weinheimer Anzeiger.
Trotz der hohen Stimmengewinne der NSDAP schaffte Weinheims führender Nationalsozialist Walter Köhler 1932 den Sprung in den Reichstag nicht, doch nach der nächsten Reichstagswahl im März 1933 ernannte Adolf Hitler den inzwischen zum stellvertretenden Gauleiter und badischen Ministerpräsidenten aufgestiegenen Parteigenossen Köhler zum Mitglied des Deutschen Reichstags, das er bis zum Ende des „Dritten Reichs“ blieb.
Fackeln und Trompeten
Die Reichstagswahl 1933 wurde in Weinheim am Vorabend des 5. März mit einem Fackelzug der NSDAP durch die Stadt und mit lodernden Feuern am Wachenberg und am Hirschkopf eingestimmt. Ein Trompetenstoß am Morgen des Wahltags erinnerte die Bürger an ihre Wahlpflicht und die Weinheimer erfüllten sie: 92,9 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, 45,8 % für die NSDAP, 19 % für die KPD, 15,4 % für die SPD und 9,6 % für das Zentrum.
Köhler und Kemper
Drei Monate nach der Wahl wurde das Betätigungsverbot für die SPD als „staats- und volksfeindliche Partei“ erlassen. Danach lösten sich die Parteien selbst auf – bis auf die NSDAP. Mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien im Juli 1933 wurde sie zur einzigen in Deutschland bestehenden Partei und deshalb gab es fortan im frauenlosen Reichstag nur noch die Fraktion der NSDAP. Ihr gehörten zwei Abgeordnete an, die eng mit Weinheim verbunden waren: der badische Ministertpräsiden, Finanz- und Wirtschaftsminister Walter Köhler (1897-1989) und Friedhelm Kemper (1906-1990). Von 1924 bis 1927 war Kemper im Vertrieb des „Weinheimer Anzeiger“ tätig, wurde dann aber wegen seiner antisemitischen Haltung entlassen. Seit 1926 gehörte Kemper der NSDAP-Ortsgruppe an und trat in Weinheim und im Odenwald als Redner auf. 1937 wurde Kemper zum Obergebietsführer ernannt und war damit für die Hitlerjugend in Baden und später auch im Elsass zuständig. Kemper gilt als Organisator der Bücherverbrennungen in Baden. Nach Krieg und Entnazifizierung (Belasteter) gründete er in Karlsruhe zusammen mit Walter Köhler eine Versicherungsagentur. Er lebte nach Kriegsende und Internierung in Weinheim, später in Schefflenz.
Die Wahl zum „Großdeutschen Reichstag“ am 10. April 1938 war die letzte Reichstagswahl in Deutschland. 1943 verlängerte Hitler ihre Wahlperiode bis zum 30. Januar 1947. Köhler, Kemper und der Mannheimer Kreisleiter der NSDAP, Dr. Reinhold Roth, blieben Abgeordnete bis zum 8. Mai 1945. Am 23. Mai 1949 gründete sich die Bundesrepublik Deutschland, aus der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 ging Richard Freudenberg als erster Vertreter des Wahlkreises Mannheim II als Sieger hervor.
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