1943: Absturz einer „Fliegenden Festung” über Weinheim

„Satan’s Sister“ brach im Flug auseinander

Zeitungsausschnitt
Das war die Besatzung von „Satan’s Sister“ die am 30. Dezember 1943 zu ihrem letzten Feindflug startete und über Weinheim abstürzte. (Foto: Weinheimer Nachrichten, 29.12.1993)

von Heinz Keller

Weinheim. „Nordamerikanische Bomberverbände drangen am gestrigen Tag unter Jagdschutz nach Westdeutschland ein und führten einen Terrorangriff gegen die Städte Mannheim und Ludwigshafen. Im Verlauf erbitterter Luftkämpfe mit unseren Jagdgeschwadern sowie durch Flakabwehr verlor der Feind über dem Reichsgebiet und den besetzten Westgebieten 39 Flugzeuge, darunter eine große Zahl schwerer, viermotoriger Bomber“, meldete am 31. Dezember 1943 der tägliche „Wehrmachtsbericht aus dem Führerhauptquartier“.

Am Vortag hatten die Amerikaner den ersten großen Tagesangriff auf die Schwesterstädte geflogen. 710 viermotorige Bomber der Boeing-Typen B 17 und B 24 steuerten von ihren ost- englischen Startplätzen aus das Mannheimer Hafengebiet und die synthetische Treibstoffproduktion der I.G. Farbenindustrie (heute BASF) an. Sie hatten 1.394 Tonnen Spreng- und Brandbomben an Bord und ließen ein verwüstetes Zielgebiet zurück.

Vom Himmel dröhnte es

Im riesigen Bomberverband flog an diesem 30. Dezember 1943 auch eine B 17 Flying Fortness („Fliegende Festung“) mit dem Namen „Satan’s Sister“. Gegen 12.35 Uhr kurvte die von 2nd Lieutenant Arthur Carlson und 2nd Lieutenant Ben Scoggin gesteuerte Maschine aus 7.600 Metern Flughöhe mit einer Geschwindigkeit von 216 Meilen (knapp 350 Stundenkilometern) zum Bombardierungsanflug auf Mannheim ein. Kurz vor dem Bombenabwurf wurde die „Satansschwester“ bei schlechter Sicht von einer anderen B 17 zum Ausweichmanöver gezwungen. Die Maschine begann zu trudeln und geriet außer Kontrolle. Mit der vollen Bombenlast und mehr als der halben Treibstoffladung an Bord brach der schwere Bomber kurz dem Eintauchen in die dichte Wolkenschicht auseinander. Das Vorderteil raste mit dröhnenden Motoren auf Weinheims Nordstadt zu, das Heckteil taumelte fast lautlos übers Birkenauer Tal.

Dokumente des Schreckens

Die minutiöse Darstellung des Geschehens an diesem 30. Dezember 1943 verdanken wir dem Ludwigshafener Richard Braun. Der inzwischen 89jährige Dolmetscher hat in seiner Jugend alle 124 Luftangriffe auf Mannheim-Ludwigshafen mitgemacht und wurde mit seiner Familie fünfmal ausgebombt. Nach dem Krieg machte er die Dokumentation der 124 Angriffe zu einem mit bewundernswerter Ausdauer und unendlicher Kleinarbeit betriebenen Anliegen. Er suchte in aller Welt den Kontakt mit Überlebenden der Bomberbesatzungen, die die Schwesterstädte gequält hatten, und mit Zeugen der Flugzeugabstürze. Daraus entstand auch die Rekonstruktion der Geschehnisse um „Satan’s Sister“.

Flugzeugteile und Bomben

Mit „röhrenden Motoren und gellendem Metallgeklapper“ – erzählten Weinheimer Zeugen Richard Braun – raste das Vorderteil der auseinander gebrochenen B 17 auf die Nordstadt zu. Am Rottenstein und nördlich der Friedrichschule, an der Main-Neckar-Bahn und auf Freudenberg-Gelände, im Bereich der Schulmöbelfabrik Grauer (heute Aldi/Edeka) und in den Gärten der Schreinerei Eidt und des Friseursalons Kußmaul an der Bergstraße prallten die Wrackteile auf und schlugen Bomben ein. Eine Bombe detonierte in einem Garten nahe der Friedrichschule, die anderen zehn Bomben waren Blindgänger. Einer der vier Motoren entzündete auf dem Betriebsgelände Grauer am Odenwaldbahn-Übergang Alte Landstraße eine Halle. Das Heck des Bombers prallte am Birkenauer Schönherrnberg gegen das Haus Florig und zerstörte es.

Sechs hatten keine Chance

Sechs der zehn Besatzungsmitglieder kamen ums Leben, vier konnten sich mit dem Fallschirm retten und kamen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Fünf tote Amerikaner wurden am 4. Januar 1944 auf dem Weinheimer Friedhof beigesetzt, einer in Birkenau. Drei wurden nach Kriegsende exhumiert und auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof im lothringischen Saint Avold zur endgültigen Ruhe gebettet, die übrigen drei Toten in ihre Heimatstaaten Texas, New York und Indiana überführt. Von zwei Überlebenden hat Richard Braun ihre Sicht auf das Kriegsereignis erfahren und festgehalten.

Grabstein e aus den Gräbern der toten Soldaten.

Fünf tote Besatzungsmitglieder des abgestürzten Bombers wurden, nach den Erinnerungen deutscher Zeitzeugen, im Bereich der Ausländergräber in der äußersten Nordostecke des Weinheimer Hauptfriedhofs, nach amerikanischer Darstellung in der Nachbarschaft des späteren Ehrengrabes von Oberbürgermeister Engelbrecht bestattet, ein weiterer Amerikaner in Birkenau. Nach Kriegsende wurden drei amerikanische Flieger exhumiert und auf dem amerikanischen Friedhof im französischen St. Avold zur letzten Ruhe gebettet, die übrigen Toten von Weinheim in ihre Heimatstaaten Texas, New York und Indiana überführt.

Weinheim hatte Glück

Der Absturz von „Satan’s Sister“ war nach der Explosion von drei Sprengbomben am 23. August 1941 an der Nördlichen Hauptstraße und der Birkenauertalstraße und vor dem Jabo-Angriff auf den Jahnplatz (heute Carl-Diem-Straße) am 16. Februar 1945 das dritte lokale Kriegsereignis. Zwei Todesopfer waren 1941 zu beklagen, fünf Tote gab es 1945, darunter vier Schüler.