Schlossgarten-Bebauung: Debatten um Terrassenhäuser, Durchblicke und Kindergarten-Bauplatz

Weinheims umstrittenstes Wohngebiet

Weinlese im Gräflich von Berckheim’schen Schlossgarten in den 1960er Jahren.
Weinlese im Gräflich von Berckheim’schen Schlossgarten in den 1960er Jahren. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

von Heinz Keller

Weinheim. Unter Weinheims Neubaugebieten aus der Nachkriegszeit ist der Schlossgarten das umstrittenste. Seit der ersten Erörterung am 17. April 1969 im Technischen Ausschuss des Gemeinderats standen die 1,2 Hektar große Rebfläche und die anschließende Rosenanlage entlang der Freudenbergstraße immer wieder im Mittelpunkt heftigen Meinungsstreits. Zwei Kommunalwahlkämpfe widmeten sich mit besonderer Intensität der auch heute noch kontrovers bewerteten Frage, ob es nicht Aufgabe der Stadt hätte sein müssen, diesen innerstädtischen Grünbereich als Erholungsraum zu erhalten und von seinem damaligen Besitzer, dem Grafen von Berckheim, zur Schlosspark-Erweiterung zu erwerben. Der Meinung einer Minderheit, dass dies möglich gewesen wäre und keine sechs Millionen DM gekostet hätte, steht die Ansicht der Gemeinderats-Mehrheit gegenüber, dass das Stadtparlament am 3. November 1970 nichts anderes tun konnte, als der Bebauung des Schlossgartens zuzustimmen, denn die Millionen DM hatte man nicht und konnte sie also auch nicht ausgeben.

Lange Vorgeschichte

Der Meinungsstreit über ein privilegiertes Wohngebiet, das seit fast einem halben Jahrhundert als „Luppert-Bauten” diskutiert wird, hatte einen langen Vorlauf. 1907 wurde der Gedanke, das Prankelgebiet am Südrand der Stadt zum Wohnviertel zu machen, erstmals im Gemeinderat beraten. 1910 legte der Leiter des städtischen Vermessungsamtes, Karl Karcher, einen Bebauungsplan-Entwurf vor, um den es heiße und lange Diskussionen gab. Am 28. Januar 1914 stimmte der Gemeinderat einer ersten Randbebauung der Lützelsachsener Straße und der Gartenstraße, der heutigen Schlossgartenstraße, zu, nachdem das Bezirksamt alle Einsprüche gegen die Bebauungsplanung zurückgewiesen hatte. Nun hätte es losgehen können mit dem Bau neuer Wohnungen im Prankel. Da brach der Erste Weltkrieg aus und stellte alles zurück. Ab 1920 wandte man sich wieder den Plänen zur Stadterweiterung im Süden zu, doch erst nach den Inflationsjahren wurde 1925, nach einem vom Badischen Ministerium des Innern als vollzugsreif erklärten Plan, der Ausbau von Straßen beschlossen. 1928 ermöglichte ein Gemeinderatsbeschluss auch die Randbebauung der Freudenbergstraße. Der Schlossgarten war damals (noch) nicht im Gespräch als Bauland, auch nicht die zu dem etwa drei Hektar großen Berckheim’schen Gesamtgelände zählende Rosenanlage. Sie geriet als Schmuckstück des neuen Wohngebiets allerdings 1928 in Gefahr, als das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, in der Weimarer Zeit ein politischer Wehrverband zum Schutz der demokratischen Republik, hier ein Denkmal zu Ehren des 1925 verstorbenen ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert errichten wollte. Dagegen wehrten sich die neuen Bewohner ebenso erfolgreich wie nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Neubaupläne des Finanzamtes.

Hotelbaupläne

Bei der Beschlussfassung über die neue Bauordnung der Stadt Weinheim wurde 1959 der Schlossgarten als Vorbehaltsfläche ausgewiesen. 1961 trat das Bundesbaugesetz in Kraft und 1962 tauchten die ersten Hotelbaupläne in der Südostecke des Geländes auf. Sie blieben bis 1964 im Gespräch. Dann verlangte Constantin von Berckheim eine klare Entscheidung von der Stadt: entweder dulde sie eine Bebauung des Schlossgartens oder sie zahle eine Abstandssumme, die in einer Höhe von fünf bis sechs Millionen DM in Gespräch war.

Rosenanlage in Stadtbesitz

Der Gemeinderat wählte einen dritten Weg und suchte das Gespräch mit dem Grafen als Grundbesitzer und der Bremer Treuhandgesellschaft für Wohnungsbau als Planer. „In zähen Verhandlungen erreichte die Stadt das Mögliche“, berichtete Oberbürgermeister Gießelmann dem Gemeinderat in der letzten Sitzung des Jahres 1970, als es um die Offenlage des Bebauungsplans Schlossgarten ging. Das Mögliche waren: die Rosenanlage, einst vom Rosenzüchter Adam Rensland und den Stadtgärtnern angelegt, sollte kostenlos in den Besitz der Stadt übergehen, ebenso eine etwa 80 Ar große Freifläche quer durch den Schlossgarten, die den Durchblick zum Schlosspark erhalten sollte. Und besonders wichtig: die Zahl der Wohneinheiten sollte von 130 auf 94 verringert werden. Auch die städtebaulichen Verbesserungen wurden als zukunftsgerecht bewertet: Tiefgaragenplätze für alle Fahrzeuge, Weiterführung der Innenerschließung in einen Fußgängertunnel zum Schlosspark-Eingang, Verbreiterung von Lützelsachsener Straße und Freudenbergstraße sowie zweite Fahrbahn für die Gartenstraße.

„Schweren Herzens” entschied sich am 16. Dezember 1970 die Mehrheit des Gemeinderats (SPD-Fraktion, drei CDU-Stadträte, die beiden Stadträte von Mittelstandsblock/FDP und PWV-Stadtrat Fabricius) für die Schlossgarten-Bebauung, die übrige PWV-Fraktion stimmte dagegen, zwei CDU-Stadträte enthielten sich der Stimme.

Kindergarten-Bauplatz

Gefährlicher Kinderspielplatz Baustelle im Schlossgarten.
Gefährlicher Kinderspielplatz: Baustelle im Schlossgarten.

Die Meinungsverschiedenheiten über die Bebauung des Schlossgartens hielten an. Sie äußerten sich auch in Leserbriefen an die Weinheimer Nachrichten und brachtenn alle Empfindungen der WN-Leser von strikter Ablehnung („eine Zumutung”) bis zu lobender Anerkennung („sorgfältig geplante, ideale Wohnanlage” zum Ausdruck. Wiederholt beschäftigten sich der Gemeinderat und sein Technischer Ausschuss in der Folge mit dem umstrittenen Projekt, das inzwischen eine Erhöhung auf 125 Wohneinheiten erfahren hatte als Gegenleistung für die Überlassung von 1.000 qm Schlossgartenfläche zum Bau einer Kindertagessätte. Nach dem klaren Nein der Forstverwaltung zu einem Kindergartenbau in der Nachbarschaft des Mausoleums und den Versäumnissen bei der Bebauungsplanung in der Hlrt und am Michelsgrund drängte die PWV auf eine Berücksichtigung im Schlossgartenbereich. Der Preis, dafür Baugelände zu erhalten, war eine stärkere Bebauung des Schlossgartens.

Am 3. November 1971, in der letzten Sitzung der ausgelaufenen Legislaturperiode, wurde der Bebauungsplan Schlossgarten gegen die Stimmen der CDU beschlossen, die bei ihrer Meinung blieb, dass man in Verhandlungen mit dem Grafen Berckheim zu einer annehmbaren Abstandssumme beim Kauf des Schlossgartens hätte kommen können.

Nun konnte mit der Verwirklichung des Projekts begonnen werden, das 125 Geschosswohnungen in fünf Terrassenhaus-Blocks und dazu 14 Reihen-Bungalows und Kettenhäuser vorsah.

Schock am Jahresende

Rohbauten im Schlossgarten.
Zu Jahresbeginn 1973 waren in den ersten drei von fünf Wohnblocks die Käufer oder Mieter bereits eingezogen, als der Rohbau der restlichen Gebäude durch die Insolvenz des Bauträgers zur Ruine zu werden drohte. Bild: WN-Archiv

Während der Ostertage 1973 wehten beim Schlosspark neben den weißblauen Stadtfahnen auch rotweiße Banner der Luppert-Bau GmbH & Co. KG. aus dem südpfälzischen Hagenbach. Der Schlossgarten-Bauträger präsentierte bei einem „Tag der offenen Tür” den ersten Block der neuen Wohnanlage „Am Schlosspark”, für die sich Menschen aus ganz Deutschland interessierten. Der Stolz währte allerdings nicht lange: am Jahresende 1973 tauchten erste Gerüchte über eine Insolvenz des Bauträgers auf, im Januar 1974 wurden sie bestätigt. Luppert hatte in Landau Vergleich angemeldet und in Weinheim fragten sich nun viele: „Wie geht es im Schlossgarten weiter?”.

Wohlstandsruine?

Zur Jahresmitte 1974 bezeichneten die Weinheimer Nachrichten die „Wohlstandsruine Schlossgarten” als „gefahrvollen Spielplatz für Kinder”. Eine Reportage wies auf die Gefahren hin, die in halbfertigen Bauten und im unvollendeten Fußgängertunnel den unbekümmert herumtobenden Kindern drohten.

Im September 1974 kam die erlösende Nachricht vom Technischen Bürgermeister Heinrich Brokhausen: „Im Schlossgarten wird wieder gebaut!”. Block 4 an der Südostecke und die letzten Reihenhäuser sollten bis zum Winter „dicht gemacht” werden, wie es Block-4-Besitzer Herbert Hilger formulierte. Der als Herbert Anton Bloeth geborene Investor, der seinen Nachnamen kurz vor der Geburt seines ersten Kindes in Hilger änderte, ist unter seinem Künstlernamen Tony Marshall besser bekannt.

Ende 1975 war die Wohnanlage Schlossgarten vollendet, der Fußgängertunnel wurde freigegeben, gleich beschmiert, aber seltener benutzt, und auch die städtische Kindertagesstätte „Kinderland” konnte 1998 ihre Pforten für Kinder aus dem Prankel und vom Musikantenviertel öffnen. Die Klagen, dass die Bauten den Blick auf die Schlosskulisse verstellen, wurden seltener, die Weinheimer arrangierten sich mit dem Projekt, das bis heute den Namen der Baufirma trägt, die Käufern, Mietern und der Stadt so viel Kummer bereitet hatte: Luppert-Bauten. (2020)