Das Stahlbad hätte Weinheim zum Badeort machen können

Das Kurhaus des Stahlbads
Das Kurhaus des Stahlbads, umgeben von einer Park-anlage mit alten Bäumen: so fotografierte es Franz Josef Heisel Ende des 19. Jahrhunderts. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Weinheim ein armes, von vielen Kriegen geschwächtes Landstädtchen mit 4.000 Einwohnern. Landwirtschaft und Weinbau ernährten die Bürger, machten sie aber nicht wohlhabend, denn Gewerbetriebe gab es kaum und von Industrie konnte man erst ein halbes Jahrhundert später sprechen. Wie also konnte man das Städtchen, an dessen Hauptstraße noch die Misthaufen der Bauernhöfe dampften, nach vorne bringen, so wie es Albert Ludwig Grimm, der Rektor des Pädagogiums und spätere Bürgermeister, mit seinen Schriften über die landschaftlichen Schönheiten und das angenehme Klima Weinheims erstrebte?

Grimm meinte, der gerade aufkommende Reiseverkehr sollte die Kutschen auch an die Bergstraße und nach Weinheim lenken. Dafür warb er mit seinem wichtigsten Buch „Die malerischen und romantischen Stellen der Bergstraße, des Odenwaldes und der Neckargegenden“. Zwar fehlte nach der Schließung des „Goldenen Bock“ (heute Alte Post) ein größerer Gasthof in Weinheim, aber Fremde mieteten sich auch gern in Privatzimmern ein. Dazu leistete Grimm als Mitbesitzer des inzwischen privatisierten kurfürstlichen Schlosses einen wichtigen Beitrag: er ließ die riesigen Speicher der einstigen pfalzgräflichen Kellerei zu Fremdenzimmern ausbauen. Und weil die Weinheimer fortan auch um mehr Reinlichkeit auf den Straßen bemüht waren, gingen die Erwartungen an das, was man später Fremdenverkehr nannte und heute Tourismus, bald in Erfüllung. 1827 gab es in Weinheim 243 Privatzimmer und als der „Pfälzer Hof“ (heute Stadthalle) eröffnet wurde, war auch die Hotelfrage geklärt, obwohl das neue Haus aus Rathaussicht „zu weit draußen“ lag.

Gesund-Brunnen

Die Stahlquelle, von einer Pyramide überdeckt  (Zeichnung des Hofmalers Rudolf Kuntz, um 1840).
Die bescheidenen Anfänge im Kurbrunnen zeigt die Zeichnung des Hofmalers Kuntz: die Stahlquelle ist von einer Pyramide überdeckt. Hinten das vom ersten Pächter, Ratsherrn Sterger, auf eigene Kosten errichtete Haus (um 1840). Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Noch weiter draußen, nämlich einen guten Kilometer von der westlichen Bebauungsgrenze entfernt, lag ein weiteres Argument für Weinheims mögliche Entwicklung zum Luftkur- und Badeort: der Weidbrunnen, in dessen Wasser 1812 „eine große Menge Eisenoxyd und außer einer geringen Menge Kohlensäure kein andere Säure“ entdeckt worden war. 1826 machte der Heidelberger Chemie-Professor Geiger den skeptischen Weinheimern mit einem neuen Gutachten Mut, die gesundheits-fördernden Inhaltsstoffe des Stahlwassers in einer Kuranstalt zu nutzen: „Das Land Baden erhält durch diese eigentümliche Stahlquelle eine neue Art Mineralwasser, die ihm bisher mangelte, und es wird die große Anzahl mannigfaltiger Bad- und Trinkquellen, durch welche es gesegnet ist, durch diese neu entdeckte vermehrt, so dass fast in seiner ganzen Ausdehnung von Badenweiler bis Weinheim überall Heilquellen vorhanden sind, für Kranke aller Art des In- und Auslandes“.

Das stimmte die Stadtväter erwartungsfroh ob zusätzlicher Einnahmen für die Stadtkasse und neuer Verdienstmöglichkeiten für die Bürger. Doch sie hätten die Quelle gerne näher an der Stadt gehabt, etwa beim Rosenbrunnen. Aber die Quelle sprudelte nur draußen vor der Stadt, im heutigen Stahlbad, ausreichend stark bei einer Bohrtiefe von 9 bis 11 Metern.

Bescheidener Start

Unter der Oberaufsicht von Lambert Freiherr von Babo wurde 1827 die „neu entdeckte Mineralquelle“ gefasst, ein Brunnenhaus gebaut und der Brunnenplatz mit einer Schmuckanlage umgeben. Am 9. März 1828 wurde der „Kurbrunnen Weinheim“ in bescheidenem Rahmen mit einem einfachen Haus bei der Quelle eröffnet. Doch die Hoffnungen, dass der Stahlbrunnen „einen schönen Ertrag“ für die Stadtkasse abwerfen würde, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: der Finanzbedarf der Einrichtung stieg und mit ihm der Widerstand in der Bürgerschaft, man kritisierte „das hinausgeschmissene Geld“ und forderte die Einstellung des Baues. Das hoffnungsvoll gestartete Projekt spaltete die Bürgerschaft zunehmend und löste zugleich einen heftigen Zuständigkeitsstreit zwischen den Kurbrunnen-Gegnern im Bürgerausschuss und dem Gemeinderat aus, den das Bezirksamt nur mühsam mit einem Kompromiss beenden konnte. Der Streit brachte gar Bürgermeister Johann Gottlieb Leisering, Amtsvorgänger von Albert Ludwig Grimm, eine Rüge der Aufsichtsbehörde ein.

Eine AG probiert’s

Die Abdeckung der Stahlquelle.
Die Abdeckung der Stahlquelle erinnert bis heute an Albert Freiherr von Toussaint, der 1881 den Kurbrunnen kaufte und ihn Stahlbad nannte. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Die kommunalpolitischen Auseinandersetzungen konnten für das junge Unternehmen nicht förderlich sein. Deshalb wurde noch 1828 eine „provisorische Aktiengesellschaft“ gegründet, die den Kurbrunnen pachten und zum Erfolg führen sollte. Gesellschafter waren honorige Bürger wie Lambert Freiherr von Babo, Amtsphysikus Dr. Stein, Amtsrevisor Schellenberg, Rektor Karl Bender, der 1829 mit seinem Bruder das Bender’sche Institut gründete, Gräfin von Wiser, Professor Albert Ludwig Grimm und Dr. Anton Batt, Privatgelehrter und Hauslehrer im Haus von Babo. Die Gesellschaft sollte sich um die Gebäude und den Verkauf von Trink- und Badewasser kümmern. Sie musste sich verpflichten, „kranken armen Einwohnern das erforderliche Trink- und Badewasser unentgeltlich zu verabfolgen“.

Zu viele Nachteile

Auch die Aktiengesellschaft konnte die Nachteile des Kurbrunnens nicht beseitigen. Er lag zu weit von der Stadt entfernt, die Gäste mussten mitunter bis zu zwei Stunden auf das Bad warten und danach noch nach Weinheim zurücklaufen. Die Zahl der Badegäste war enttäuschend: 1838 erhielten 23 Besucher 290 Bäder, über 50 stieg die Zahl der jährlichen Besucher auch in den 1840-er Jahren nie. Die Aktiengesellschaft war nach Ablauf der Pachtzeit 1846 froh, das Bad wieder an die Stadt zurückgeben zu können, die nun versuchte, über einen Staatszuschuss an dringend notwendige Investitionsmittel zu kommen. Die großherzogliche Regierung winkte ab, die Pächter wechselten häufiger und als 1880 ein Großbrand das Wirtschaftsgebäude zerstörte, entschloss sich der Gemeinderat zum Verkauf des Kurbrunnens.

Für 2.000 Goldmark erwarb der Ludwigshafener Handelsmann Albert Freiherr von Toussaint die gesamte Anlage, die er nun Stahlbad nannte. Toussaint investierte fast sein gesamtes Vermögen in neue Gebäude, Wandelgänge und Anlagen, an der neu erbauten Nebenbahn Weinheim-Mannheim erhielt das Stahlbad einen Haltepunkt (etwa auf der heutigen Breslauer Straße), doch die Rentabilität blieb weiter aus. Am 18. November 1881 kam es zur Zwangsvollstreckung.

Wirtschaftsgebäude und Haltestelle Stahlbad an der Nebenbahn Weinheim-Mannheim.
Wirtschaftsgebäude und Haltestelle Stahlbad. Die spätere Stahlbad-Wirtschaft wurde mit der Gastarbeiterwelle zur Begegnungsstätte spanischer und italienischer Familien und beherbergt heute die Suchtberatung Weinheim. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Neuer Besitzer wurde der aus Ludwigshafen stammende, in Berlin zu Vermögen gekommene Hut-, Stock- und Schirmfabrikant Franz Josef Heisel. Er zahlte 65.500 Mark und wandelte das Stahlbad in eine Kneipp’sche Wasserheilanstalt um, in die der langjährige Wörishofener Bademeister Eduard Tischberger seine ganze Erfahrung einbrachte. Mit ihm erreichte das unter der ärztlichen Leitung des späteren Weinheimer Ehrenbürgers, Arztes und Odenwalddichters Dr. Adam Karrillon stehende Stahlbad seine einzige Blütezeit. Mit Tischbergers Weggang endete die beste Zeit des Stahlbads, das 1899 den Badebetrieb einstellte. Nur der Wirtschaftsbetrieb, die spätere Stahlbad-Wirtschaft, wurde weitergeführt, das Kurhaus nutzte die Besitzerfamilie Heisel. 1921 kaufte die Stadt das Stahlbadareal von den Erben des Gründers von Sommertagszug und Radfahrerverein Weinheim, Franz Josef Heisel, für 180.000 Mark zurück.

(2021, © www.wnoz.de)

 

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