Zwischen Hoffnung und Enttäuschung: Das Stahlbad
von Heinz Keller
Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.
Seit fast 200 Jahren beschäftigt das Stahlbad die Weinheimer Kommunalpolitik: 1828 als städtische Einrichtung „Kurbrunnen Weinheim“ bescheiden eröffnet, noch im selben Jahr an eine Aktiengesellschaft verpachtet, ab 1846 wieder unter städtischer Regie, 1880 von einem Großbrand stark beschädigt, 1881 privatisiert, 1887 ans Verkehrsnetz angebunden, 1891 zwangsversteigert in privaten Besitz, 1899 Einstellung des Badebetriebs, 1921 Rückkauf durch die Stadt Weinheim und Umwandlung in eine Wohnsiedlung, 1980 bis 1993 umfassende Sanierung im Kostenumfang von 14,5 Millionen DM.
Das Stahlbad war immer ein besonderes Stück Landschaft und ein besonderes Stück Stadtgeschichte, geprägt von Hoffnungen und Enttäuschungen, von Lebenslust und sozialer Not, von Befürwortern und Gegnern, von Distanz und Nähe. In der fast 200-jährigen Geschichte des Stahlbads ist vieles anders verlaufen, als man es erwartete. Mit der Überwindung der einst so nachteilig trennenden Leere zum städtischen Wohngebiet hat es seinen Platz im Weinheimer Stadtbild gefunden und Hunderten Weinheimern in einem lebendigen Stadtviertel, das die Grenzen der einstigen Kuranstalt längst überschritten hat, eine neue Heimat gegeben.
Ein Einschnitt
Vor 100 Jahren, am 26. Februar 1921, endete mit dem Beschluss des Bürgerausschusses zum Ankauf des Stahlbads, seiner Gebäude und des umliegenden Geländes die Geschichte der Wasserheilanstalt und es begann die Geschichte der Wohnsiedlung Stahlbad. Der Bürgerausschuss folgte, bei nur einer Gegenstimme, der Empfehlung des Gemeinderats, das 1,8 Hektar große, von Park, Garten- und Ackerland umgebene Gelände des Stahlbads im Gewann Kurbrunnen für den Kaufpreis von 180.000 Mark zu erwerben, „um in den bestehenden Gebäuden Wohnungen einzubauen und für weitere Kleinwohnungsbauten geeignetes Gelände zu erlangen“. Dem Gemeinderatsbeschluss vom 27. Oktober 1920 lag die Berechnung des Stadtbauamtes zu Grunde, dass mit einem Aufwand von 130.000 Mark in den bestehenden Gebäuden fünf Wohnungen neu entstehen und eine vergrößert werden könnten.
Wohnungen statt Bäder
Die Vorlage des Stadtbauamtes gibt einen Überblick über die Gebäude, die das Stahlbad Weinheim zuletzt ausmachten: zweistöckiges Hauptgebäude mit teilweise ausgebautem Dachstock, zweistöckiges Wirtschaftsgebäude mit Küchenanbau und Stall, Badehaus, Kesselhaus, Kegelhalle, Musikhalle, überdachter Verbindungsgang zwischen Hauptgebäude und Badehaus, Wagenhalle, Schoppen und Hühnerstall. Stadtbaumeister Adam Eberhardt empfahl, Badehaus, Kesselhaus und Verbindungsgang abzureißen, da sie für die Einrichtung von Wohnungen ungeeignet seien, die Musikhalle als Wäschetrocknungsraum zu nutzen und den Hühnerstall zu vergeben. Das Abbruchmaterial könnte für die Umbauten im Hauptgebäude (Kurhaus) und im Wirtschaftsgebäude (später Stahlbadwirtschaft) verwendet werden.
Die Ära Heisel
Den Kaufvertrag schloss Stadtgeometer Karl Karcher für Stadt und Gemeinderat mit den Erben des letzten Stahlbad-Besitzers Franz Josef Heisel. Der Berliner Hut, Stock- und Schirmfabrikant hatte das Stahlbad 1891 aus der Zwangsversteigerung erworben und es mit dem Bad Wörishofener Bademeister Eduard Tischberger als „Pfarrer Kneipp’sche Wasserheilanstalt“ und dem späteren Weinheimer Ehrenbürger Dr. Adam Karrilon als Badearzt in seine beste Zeit geführt, die allerdings 1899 mit der Einstellung des unrentablen Badebetriebs geendet hatte. Heisel, der in seinem Geschäft am Karlsberg Hüte, Stöcke und Schirme aus seiner Berliner Fabrikation verkaufte, bemühte sich fortan um die Durchführung eines Sommertagszuges als Frühlingsfestes für die Weinheimer Kinder und erprobte die Idee 1902 mit einem kleinen Zug durch das Stahlbad, das Anton Werner 1905 noch einmal beleben wollte. Er scheiterte damit und wurde nach Fertigstellung der Burgschänke Burgwirt auf der Wachenburg. 1930 und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde immer mal wieder über eine Wiederbelebung des Stahlbads nachgedacht, doch das Ende des Kurbetriebs war endgültig.
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