Christian Stock
Der erste sozialdemokratische Bürgermeister Weinheims
von Heinz Keller
Seit Uwe Kleefoot am 8. Juni 1986 zum Amtsnachfolger von Theo Gießelmann gewählt wurde, gilt er für die Stadtgeschichtsschreibung als erster sozialdemokratischer Oberbürgermeister Weinheims. Das ist korrekt, weil er das Amt angetreten und 16 Jahre lang erfolgreich ausgeübt hat – im Gegensatz zu einem anderen SPD-Bürgermeister, der das Amt, in das er gewählt worden war, nicht angetreten hat und in Weinheim weitgehend unbekannt geblieben ist.
Um ihn geht es: Am 3. Februar 1920 wählte der Weinheimer Bürgerausschuss den Heidelberger Arbeitersekretär und SPD-Stadtverordneten Christian Stock mit 44 von 72 Stimmen zum neuen Weinheimer Bürgermeister. Der 36-Jährige war seit einem Jahr Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Von Platz 4 der SPD-Liste für den Wahlbezirk Baden hatte er am 19. Januar 1919 den Sprung in die verfassungsgebende Versammlung geschafft.
Als am 23. Juli 1919 der Weinheimer Bürgermeister Dr. Karl Alexander Wettstein aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegte, bewarb sich Stock um die Amtsnachfolge und wurde am 3. Februar 1920 von der Mehrheit des Bürgerausschusses, des damals für die Bürgermeisterwahl zuständigen Gemeindeorgans, zum neuen Weinheimer Bürgermeister gewählt. Im Bürgerausschuss war die (Mehrheits-)SPD seit den Kommunalwahlen vom 1. Juni 1919 mit 28 Stadtverordneten stärkste Partei. Zehn weitere Stadtverordnete gehörten der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) an.
Wechsel nach Berlin
Am 17. März 1920 bat Stock, ihn von der Übernahme des Bürgermeister-Amtes zu entbinden. Der Grund: Im März 1920 hatte ihn der in Weimar zum ersten deutschen Reichspräsidenten gewählte Friedrich Ebert als Unterstaatssekretär ins Reichswehrministerium berufen, mit der Aufgabe, die Folgen des rechtsgerichteten Kapp-Putsches zu überwinden. Stock, Zigarrenarbeiter aus Pfungstadt, 1910 Bezirkssekretär der Tabakarbeiter-Gewerkschaft Baden, Pfalz und Hessen, ab 1914 als Arbeitersekretär Leiter der Rechtsauskunftsstelle badischer Gewerkschaften in Heidelberg, arbeitete bis September 1920 als Unterstaatssekretär in Berlin. 1921 wurde er in den Landtag der Republik Baden gewählt, dem er bis 1925 angehörte. 1922 wurde Stock Direktor der AOK Heidelberg, später Direktor der AOK Frankfurt. Aus diesem Amt entfernten ihn die Nationalsozialisten 1933 und inhaftierten ihn für einige Monate im nordbadischen KZ Kislau. Nach seiner Entlassung arbeitete Stock als Vertreter und eröffnete schließlich in Darmstadt ein Zigarrengeschäft.
Hessischer Regierungschef
Nach dem 2. Weltkrieg wurde Christian Stock zunächst wieder Direktor der AOK Frankfurt, später Präsident der Landesversicherungsanstalt Hessen. Er gehörte der verfassunggebenden Hessischen Landesversammlung an und wurde nach der ersten freien Landtagswahl 1946 zum Hessischen Ministerpräsidenten gewählt. Christian Stock bildete eine Koalitionsregierung aus SPD und CDU, der er bis 1950 vorstand. Als Vorsitzender der Konferenz aller deutschen Ministerpräsidenten im „Interregnum“ von 1945 bis 1949 war er intensiv mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland befasst. Stock starb 1967 in Seeheim.
Seit 1923 OB
Einen Oberbürgermeister als Chef der Stadtverwaltung und Vorsitzenden des Gemeinderats gibt es in Weinheim seit 1923. Damals hatte die Stadt eine Einwohnerzahl von 14.555 erreicht und wurde zur „mittleren Stadtgemeinde“ aufgestuft. Ihr Bürgermeister durfte sich nun Oberbürgermeister nennen, sein Stellvertreter Bürgermeister. Damit wurde Joseph Huegel – nach Stocks Rückzug am 10. Mai 1920 zum Bürgermeister gewählt – Oberbürgermeister und der 1. Beigeordnete Dr. Fritz Meiser wurde Bürgermeister.
Die 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht eingesetzten Leiter der Stadtverwaltung, zunächst Richard Freudenberg und danach Wilhelm Brück, trugen die Amtsbezeichnung Bürgermeister. Brück wurde vom ersten frei gewählten Gemeinderat im Frühjahr 1946 zum Bürgermeister gewählt und im Januar 1947 zum Oberbürgermeister ernannt. Erster von den Bürgern direkt gewählter Oberbürgermeister wurde am 8. Februar 1948 Rolf Engelbrecht.