Wilhelm Platz: Der Maschinenbauer, der lieber Gedichte schrieb

Wilhelm Platz (1839-1919)
Wilhelm Platz (1839-1919). Bild: Stadtarchiv Weinheim.

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Wenn man die Wachenbergstraße hinauf zur Burg fährt, öffnet sich nach der drittletzten, engen Kurve der Blick weit hinein ins Weschnitztal, bei guter Sicht bis Lindenfels. Es ist der ideale Platz, die Schönheit des Odenwaldes zu preisen und deshalb steht seit 100 Jahren über der Kurve der Odenwaldstein, aus Mauerwerk gestaltet und geschmückt mit einer Metalltafel, die den Text des Odenwald-Liedes trägt: „Odenwald, dich will ich preisen“. Wilhelm Platz hat es gedichtet und vertont. Odenwald-Wanderer singen es bis heute.

Am Pfingstsonntag, 8. Mai 1921, wurde der Odenwaldstein „an der schönsten und aussichtsreichsten Stelle des Wachenbergs“ eingeweiht, wie der „Weinheimer Anzeiger“ berichtete. Als Stifter der Anlage feierte die Lokalzeitung Wilhelm Platz (1866-1929), Schriftsteller und Ingenieur, Direktor der Maschinenfabrik Badenia in Weinheim und Enkel ihres Gründers, des Mechanikers Wilhelm Platz, Ehrendoktor der Technischen Hochschule Karlsruhe.

Wilhelm Platz (1804-1878)
Wilhelm Platz (1804-1878). Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Die Wiege von Wilhelm Platz stand im Wohnhaus der alten Oehligmühle bei der Einmündung der Burggasse in die Müllheimertalstraße. Sein Großvater, der aus Fürth stammende Gelbgießer und Mechaniker Wilhelm Platz (1804-1878), hatte das Mühlengelände 1846 gekauft und mit seiner 1834 in der heutigen Fußgängerzone gegründeten Mechanikerwerkstatt zunächst Feuerspritzen und Messingarmaturen hergestellt. Sein Enkel Wilhelm (Bild: Stadtarchiv) hat später in seinen Lebenserinnerungen sehr sympathisch beschrieben, wie zurückhaltend der Opa und wie mutig der Vater („mit Kurasache“) den Wechsel vom Mechaniker zum Maschinenfabrikanten vollzogen. Statt Feuerspritzen wurden nun in der ehemaligen Oehligmühle landwirtschaftliche Maschinen hergestellt. Mit sechs Handdreschmaschinen fing alles an, 1865 übernahmen die Söhne Philipp Platz (1839-1919) und Adam Platz (1843-1919) das Kommando im Müll, wo nach und nach erst der Gemüse- und Blumengarten, später auch der Obst- und Grasgarten neuen Gebäuden weichen mussten. Die Firma „Wilhelm Platz und Söhne“ wuchs und „auf einmal war die tausendste Dreschmaschine bestellt worden“, beschreibt Enkel Wilhelm den „Samstag nach Feierabend“, als Opa Wilhelm, Vater Philipp und Onkel Adam das stolze Ereignis mit ihren Mitarbeitern feierten. Die Fabrikherren ließen im benachbarten „Goldenen Stern“ bei der Gastwirtswitwe Gretchen Doll ein Fass Bier und eine Kiste Zigarren holen. Daraus wurden schließlich sechs Fässer und auch die Zigarrenkiste musste „die Dolle-Gretche“ mehrmals nachfüllen.

Die feuchtfröhliche Feier rund um die mit Girlanden geschmückte tausendste Handdreschmaschine ist eine von vielen Geschichten, in denen Wilhelm Platz die Entwicklung der Werkstätte seines Großvaters zu der von seinen Söhnen Philipp und Adam gesteuerten Maschinenfabrik Badenia schildert, die 1884 bahnnah ins Gewann Käsacker umsiedelte und im Sommer 1914 mit 800 Mitarbeitern jährlich 30.000 landwirtschaftliche Maschinen produzierte: Dampfmaschinen, Dreschmaschinen, Göpel, Futterschneidemaschinen, Schrotmühlen, Rübenschneider, Trauben- und Obstpressen, Jauchepumpen.

Die Maschinenfabrik Badenia im Gewann Käsacker.
Im Gewann Käsacker wuchs die Maschinenfabrik Badenia mit direktem Anschluss an die Main-Neckar-Bahn zu einem der bedeutendsten Hersteller von landwirt-schaftlichen Maschinen in Deutschland. Bild: Stadtarchiv Weinheim.

Zum Aufstieg der Badenia in die Riege der erfolgreichsten deutschen Landmaschinen-Fabriken trug der Juniorchef Wilhelm Platz maßgeblich bei. Nach dem Maschinenbau-Studium in Karlsruhe und Berlin-Charlottenburg und ersten beruflichen Erfahrungen in Magdeburg und Leipzig war er um 1890 ins Familienunternehmen eingetreten. Rund 30 Jahre war Wilhelm Platz Direktor der Maschinenfabrik Badenia, später Mitglied des Aufsichtsrats. Auf ihn geht eine Reihe von Erfindungen zurück, vor allem im Lokomobilbau. Der unermüdliche Tüftler erhielt zahlreiche Patente. In Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen verlieh ihm die Technische Hochschule Karlsruhe anlässlich ihrer Jubiläumsfeier 1925 die Würde eines D.-Ing. ehrenhalber.

Lebenslang stand Wilhelm Platz zwischen seinen beruflich-familiären Verpflichtungen und seinen persönlichen Neigungen, die schon für seinem Deutschlehrer offenkundig waren: „Und hier der Platz, der soll Maschinenbau studieren und wird doch Dichter“. In seinen Lebenserinnerungen bekennt Platz: „Am Ende bin ich doch den vom Vater vorbereiteten Weg gegangen”.

Wilhelm Platz wurde ein hervorragender Ingenieur und ein gern gelesener Autor. In seinem literarischen Schaffen bevorzugte er den Roman und die Novelle. Er versuchte sich aber auch als dramatischer Autor in der Trilogie „Mein Deutschland”: Der kaiserlichen Friedenszeit widmete er das heitere Volksstück „Des Bürgermeisters Wahl”, dem Ersten Weltkrieg das vaterländische Schauspiel „Michel Volk” und dem revolutionären November 1918 die Tragödie „Peter Kuhn”. In seinem bekanntesten Roman „Valtin, Hansjörg und die Gret” schildert Platz vor dem Hintergrund des Odenwaldes den Kampf des bodenständigen Bauerntums mit der menschenaufsaugenden Industrie. Gern gelesen wurden auch seine schnurrigen Geschichten und die autobiografischen Erzählungen. In „Herrn Selberts altes Notizbuch” berichtet Wilhelm Platz alias Herr Selbert aus seiner Jugendzeit, in „Herrn Selberts neues Notizbuch” aus seinem Leben als Ingenieur und in „Herrn Selberts freundliche Geschichten” sind Reiseerinnerungen und Hundegschichten zusammengefasst, „in lächelnder Überlegenheit über alles, was da kommt”, wie der Leipziger Feuer-Verlag damals warb. Unter den Gedichten ist auch das „Odenwaldlied”, das Wilhelm Platz verfasst und vertont hat. Die Liebe zur Landschaft haben in ihm wohl sein aus Fürth stammender Großvater und sein Onkel Adam Platz geweckt, der in die Stadtgeschichte als „Schöpfer der Weinheimer Anlagen” eingegangen ist. Der Gedenkstein für Adam Platz steht in der Werder-Anlage.

Der Odenwaldstein in der Nähe der Wachenburg verrät auch die lebenslange Bindung von Wilhelm Platz an das Karlsruher Corps Cheruskia und den Weinheimer Senioren Convent (WS). Für seine Mitbürger engagierte sich Wilhelm Platz als Mitglied des Bürgerausschusses der Stadt und des Bezirksrats des Amtsbezirks Weinheim. Dem Odenwaldklub galt seine besondere Zuneigung und Unterstützung. Dafür wurde er zum OWK-Ehrenmitglied ernannt.

Dr.-Ing. e.h. Wilhelm Platz starb am 17. November 1929 in Freudenstadt, wo er sich von einer schweren Erkrankung erholen wollte. Sie hatte ihn 1925 gezwungen, seine berufliche Tätigkeit aufzugeben. Wilhelm Platz wurde 63 Jahre alt. Das nahe Ende der in den Strudel der Weltwirtschaftskrise geratenen Badenia hat ihn wohl zu sehr belastet.

Der Odenwaldstein in der Nähe der Wachenburg.

Der Odenwaldstein in der Nähe der Wachenburg verrät auch die lebenslange Bindung von Wilhelm Platz an das Karlsruher Corps Cheruskia und den Weinheimer Senioren Convent (WS). Für seine Mitbürger engagierte sich Wilhelm Platz als Mitglied des Bürgerausschusses der Stadt und des Bezirksrats des Amtsbezirks Weinheim. Dem Odenwaldklub galt seine besondere Zuneigung und Unterstützung. Dafür wurde er zum OWK-Ehrenmitglied ernannt.

Dr.-Ing. e.h. Wilhelm Platz starb am 17. November 1929 in Freudenstadt, wo er sich von einer schweren Erkrankung erholen wollte. Sie hatte ihn 1925 gezwungen, seine berufliche Tätigkeit aufzugeben. Wilhelm Platz wurde 63 Jahre alt. Das nahe Ende der in den Strudel der Weltwirtschaftskrise geratenen Badenia hat ihn wohl zu sehr belastet.

(2021, © www.wnoz.de)

 

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