Es fehlte an allem: Hungerwinter 1945/46

Splittergraben bei der Friedrichschule

von Heinz Keller

Alle Beiträge in diesem Zeitungsarchiv sind erstmals in den Weinheimer Nachrichten erschienen. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Weinheimer Museums erfolgt mit der Zustimmung der DiesbachMedien GmbH.

Seit anderthalb Jahren schwiegen die Sirenen, statt der anglo-amerikanischen Markierungs-bomben erhellten wieder tausend Sterne den nächtlichen Himmel. Doch der tägliche Kampf ums Überleben hielt an. Dem eiskalten Jahreswechsel 1945/46 und dem bis in den März anhaltenden Winter war ein trockener und heißer Sommer 1946 gefolgt, die Ernteerträge waren hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die Lebensmittelrationen mussten reduzier werden, zeitweise auf unter 1.100 Kalorien pro Tag, während ein amerikanischer Arzt ein tägliches Nahrungssoll von 2.600 Kalorien für den Normalverbraucher für notwendig hielt.

Nichts illustriert die Ernährungslage im Nachkriegs-Deutschland nachdrücklicher als das Rundschreiben des Wirtschaftsministeriums Württemberg-Baden vom 7. September 1946 an die Kreisernährungs- und Landwirtschafts-ämter in Nordbaden und Nordwürttemberg: „In diesem Jahr ist mit einer außergewöhnlich guten Bucheckernernte zu rechnen. Die schwierige Ernährungslage erfordert, diese zusätzliche Fettquelle restlos auszunutzen. Es hat jedermann die Möglichkeit, durch Sammeln von Bucheckern seine Fettration wesentlich zu erhöhen”. Der Münchner Historiker Peter Jakob Kock beschrieb die dramatisch schlechte Ernährungslage so: „In der amerikanischen Besatzungszone musste ein Normalverbraucher mit einer durch-schnittlichen Tagesration von einem halben Teelöffel Zucker, einem fingergroßen Stück Fett, Fleisch in der Größe eines Radier-gummis, zwei Kartoffeln, einer Prise Kaffee-Ersatz und einem Schluck Magermilch aus-kommen“. Um mit der Brotzuteilung auszukommen, haben die Mütter in besonders kritischen Wochen die tägliche Ration auf dem Rücken des Brotleibs eingekerbt und die Schreiben abgewogen.

Der Hunger war das Schlimmste im zweiten Winter nach Kriegsende, der als Hungerwinter mit Hunderttausenden von Toten in die Geschichte eingegangen ist, sondern auch als kältester Winter im 20. Jahrhundert. Schon im November 1946 waren die Temperaturen unter Null gesunken, im Dezember folgte die zweite Kältewelle und im Januar 1947 wurden neue Minusrekorde gemessen. Die Kälte war nicht nur grimmiger als gewohnt, sie hielt auch länger an und hielt bis März an. „Weißer Tod” und „Schwarzer Hunger” nannten die Menschen
Den Winter 1945/46, in dem an allem fehlte: an Kleidung, Schuhzeug, Heizmaterial, vor allem an Nahrung und an Wohungen.

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